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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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dankte; aber wenn er wieder auf die Welt und
sich herabsah; wenn er auf seinen Zustand und
die Bahn der Leiden blickte, die er schon zurück-
gelegt hatte, und auch jetzt noch immer wandelte;
ach, dann floß die Thräne der Wehmuth, die er
nicht verbergen konnte, und doch wollt er sie ver-
bergen, um die Quelle der Seligkeit, aus der
seine Lieben tranken, nicht zu trüben. Darum
kehrte er oft wieder auf dem Weg um, wenn ihn
sein Herz schon zu seinen Freunden führen wollte;
denn er sahs, sein Anblick, sein eingefallenes Ge-
sicht, sein trübes Auge machte seine Freunde trau-
rig. Er wollte allein unglücklich seyn. Seine
Freuden hätt er gern mit andern getheilt, aber
nicht seine Leiden.

Nur mit seinem lieben Anton weinte er zuwei-
len, weil ihn dieser selbst zu Thränen aufrief, und
gern in die Vergangenheit, die für ihn auch trau-
rig war, zurückblickte. Einmal giengen sie an ei-
nem schwülen Sommernachmittag im Garten.
Zur Linken thürmte sich schon ein Gewitter auf,
das in weißgrauen Wolken daher schwebte, und
alle andre Wölkchen an sich zog. Zuweilen sah
man schon einen blassen Blitz den fernen Wetter-
schwall theilen, und ein Donner murmelte am fer-



dankte; aber wenn er wieder auf die Welt und
ſich herabſah; wenn er auf ſeinen Zuſtand und
die Bahn der Leiden blickte, die er ſchon zuruͤck-
gelegt hatte, und auch jetzt noch immer wandelte;
ach, dann floß die Thraͤne der Wehmuth, die er
nicht verbergen konnte, und doch wollt er ſie ver-
bergen, um die Quelle der Seligkeit, aus der
ſeine Lieben tranken, nicht zu truͤben. Darum
kehrte er oft wieder auf dem Weg um, wenn ihn
ſein Herz ſchon zu ſeinen Freunden fuͤhren wollte;
denn er ſahs, ſein Anblick, ſein eingefallenes Ge-
ſicht, ſein truͤbes Auge machte ſeine Freunde trau-
rig. Er wollte allein ungluͤcklich ſeyn. Seine
Freuden haͤtt er gern mit andern getheilt, aber
nicht ſeine Leiden.

Nur mit ſeinem lieben Anton weinte er zuwei-
len, weil ihn dieſer ſelbſt zu Thraͤnen aufrief, und
gern in die Vergangenheit, die fuͤr ihn auch trau-
rig war, zuruͤckblickte. Einmal giengen ſie an ei-
nem ſchwuͤlen Sommernachmittag im Garten.
Zur Linken thuͤrmte ſich ſchon ein Gewitter auf,
das in weißgrauen Wolken daher ſchwebte, und
alle andre Woͤlkchen an ſich zog. Zuweilen ſah
man ſchon einen blaſſen Blitz den fernen Wetter-
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[1057/0637] dankte; aber wenn er wieder auf die Welt und ſich herabſah; wenn er auf ſeinen Zuſtand und die Bahn der Leiden blickte, die er ſchon zuruͤck- gelegt hatte, und auch jetzt noch immer wandelte; ach, dann floß die Thraͤne der Wehmuth, die er nicht verbergen konnte, und doch wollt er ſie ver- bergen, um die Quelle der Seligkeit, aus der ſeine Lieben tranken, nicht zu truͤben. Darum kehrte er oft wieder auf dem Weg um, wenn ihn ſein Herz ſchon zu ſeinen Freunden fuͤhren wollte; denn er ſahs, ſein Anblick, ſein eingefallenes Ge- ſicht, ſein truͤbes Auge machte ſeine Freunde trau- rig. Er wollte allein ungluͤcklich ſeyn. Seine Freuden haͤtt er gern mit andern getheilt, aber nicht ſeine Leiden. Nur mit ſeinem lieben Anton weinte er zuwei- len, weil ihn dieſer ſelbſt zu Thraͤnen aufrief, und gern in die Vergangenheit, die fuͤr ihn auch trau- rig war, zuruͤckblickte. Einmal giengen ſie an ei- nem ſchwuͤlen Sommernachmittag im Garten. Zur Linken thuͤrmte ſich ſchon ein Gewitter auf, das in weißgrauen Wolken daher ſchwebte, und alle andre Woͤlkchen an ſich zog. Zuweilen ſah man ſchon einen blaſſen Blitz den fernen Wetter- ſchwall theilen, und ein Donner murmelte am fer-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1057. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/637>, abgerufen am 19.04.2024.