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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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schonen, und gegen seinen eignen Körper nicht mehr,
als nöthig wäre, zu wüten. Bruder Porphyr
lachte ihn oft aus, denn er hatte gemerkt, daß
sich die Paters entweder blos mit der Hand auf
den Rücken, oder mit den Stricken blos an die
Säulen, oder an die Wand schlugen. Diese List
machte er nach, und rieth unserm Siegwart an,
es auch nachzumachen. Dieser hielt aber seinen
Rath für gottlos, und betrübte sich über seinen
Leichtsinn. Jsidor hingegen war das eine angeneh-
me Entdeckung, die er sich sehr zu Nutze machte.

Siegwart sah nun auch ein, daß das Klosterle-
ben -- wie das meiste auf der Welt -- von aussen
schön glänzt, wenn mans aber genauer kennen
lernt, tausend Mängel und Unvollkommenheiten
hat; er sah täglich mehr den innern Krieg, den
Neid, und die Misgunst, die unter den Paters
gewöhnlich herrscht. Er sah, daß fast keiner ein
aufrichtiger Freund des andern, und daß das Klo-
ster ein Sammelplatz fast aller häßlichen menschli-
chen Leidenschaften ist. Fast alle Tage gab es Zank,
und Sticheleyen, und Verhetzungen. Er betrübte
sich heimlich darüber, hielt sich aber desto mehr ver-
bunden, sich von diesen Schlacken rein zu halten,



ſchonen, und gegen ſeinen eignen Koͤrper nicht mehr,
als noͤthig waͤre, zu wuͤten. Bruder Porphyr
lachte ihn oft aus, denn er hatte gemerkt, daß
ſich die Paters entweder blos mit der Hand auf
den Ruͤcken, oder mit den Stricken blos an die
Saͤulen, oder an die Wand ſchlugen. Dieſe Liſt
machte er nach, und rieth unſerm Siegwart an,
es auch nachzumachen. Dieſer hielt aber ſeinen
Rath fuͤr gottlos, und betruͤbte ſich uͤber ſeinen
Leichtſinn. Jſidor hingegen war das eine angeneh-
me Entdeckung, die er ſich ſehr zu Nutze machte.

Siegwart ſah nun auch ein, daß das Kloſterle-
ben — wie das meiſte auf der Welt — von auſſen
ſchoͤn glaͤnzt, wenn mans aber genauer kennen
lernt, tauſend Maͤngel und Unvollkommenheiten
hat; er ſah taͤglich mehr den innern Krieg, den
Neid, und die Misgunſt, die unter den Paters
gewoͤhnlich herrſcht. Er ſah, daß faſt keiner ein
aufrichtiger Freund des andern, und daß das Klo-
ſter ein Sammelplatz faſt aller haͤßlichen menſchli-
chen Leidenſchaften iſt. Faſt alle Tage gab es Zank,
und Sticheleyen, und Verhetzungen. Er betruͤbte
ſich heimlich daruͤber, hielt ſich aber deſto mehr ver-
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[1039/0619] ſchonen, und gegen ſeinen eignen Koͤrper nicht mehr, als noͤthig waͤre, zu wuͤten. Bruder Porphyr lachte ihn oft aus, denn er hatte gemerkt, daß ſich die Paters entweder blos mit der Hand auf den Ruͤcken, oder mit den Stricken blos an die Saͤulen, oder an die Wand ſchlugen. Dieſe Liſt machte er nach, und rieth unſerm Siegwart an, es auch nachzumachen. Dieſer hielt aber ſeinen Rath fuͤr gottlos, und betruͤbte ſich uͤber ſeinen Leichtſinn. Jſidor hingegen war das eine angeneh- me Entdeckung, die er ſich ſehr zu Nutze machte. Siegwart ſah nun auch ein, daß das Kloſterle- ben — wie das meiſte auf der Welt — von auſſen ſchoͤn glaͤnzt, wenn mans aber genauer kennen lernt, tauſend Maͤngel und Unvollkommenheiten hat; er ſah taͤglich mehr den innern Krieg, den Neid, und die Misgunſt, die unter den Paters gewoͤhnlich herrſcht. Er ſah, daß faſt keiner ein aufrichtiger Freund des andern, und daß das Klo- ſter ein Sammelplatz faſt aller haͤßlichen menſchli- chen Leidenſchaften iſt. Faſt alle Tage gab es Zank, und Sticheleyen, und Verhetzungen. Er betruͤbte ſich heimlich daruͤber, hielt ſich aber deſto mehr ver- bunden, ſich von dieſen Schlacken rein zu halten,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1039. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/619>, abgerufen am 19.04.2024.