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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Nach drey Wochen, die er nun im Kloster zu-
gebracht hatte, ward ihm vor dem Altar die Klei-
dung angelegt. Sein schwarzes Kleid, das er in
der Kirche ablegte, ward mit einer braunen Kutte
vertauscht, und das Noviziat fieng sich an. Er
bekam den Klosternamen Georg. Er mußte nun alle
die Geschäfte und Uebungen des Gehorsams an-
treten, die ein Neuangehender im Probejahr aus-
zuhalten hat. Der damalige Novizmeister war ein
strenger und wunderlicher Mann, der den Novi-
zien oft lächerliche Uebungen auflegte. So mußten
sie, zur Uebung im Gehorsam, Holz aus der
Holzkammer holen, und wenn sie ziemlich viel
geholt hatten, mußten sie es wieder zurücktragen.
Es ward ihnen warmes Essen vorgesetzt, und wenn
sie eben essen wollten, ward es wieder weggenom-
men, und sie mußten trocknes Brod essen. Jn
der Bibliothek mußten sie im kalten Winter die
Bücher |aus einem Schrank in den andern setzen,
und dann wieder zurück in den vorigen Schrank
tragen; kurz: immer Arbeiten ohne Zweck ver-
richten.

Dem Bruder Porphyr gefiel dieses sehr übel.
Er beklagte sich oft darüber gegen unsern Sieg-
wart, und sagte, daß er dieses nicht aushalte, und



Nach drey Wochen, die er nun im Kloſter zu-
gebracht hatte, ward ihm vor dem Altar die Klei-
dung angelegt. Sein ſchwarzes Kleid, das er in
der Kirche ablegte, ward mit einer braunen Kutte
vertauſcht, und das Noviziat fieng ſich an. Er
bekam den Kloſternamen Georg. Er mußte nun alle
die Geſchaͤfte und Uebungen des Gehorſams an-
treten, die ein Neuangehender im Probejahr aus-
zuhalten hat. Der damalige Novizmeiſter war ein
ſtrenger und wunderlicher Mann, der den Novi-
zien oft laͤcherliche Uebungen auflegte. So mußten
ſie, zur Uebung im Gehorſam, Holz aus der
Holzkammer holen, und wenn ſie ziemlich viel
geholt hatten, mußten ſie es wieder zuruͤcktragen.
Es ward ihnen warmes Eſſen vorgeſetzt, und wenn
ſie eben eſſen wollten, ward es wieder weggenom-
men, und ſie mußten trocknes Brod eſſen. Jn
der Bibliothek mußten ſie im kalten Winter die
Buͤcher |aus einem Schrank in den andern ſetzen,
und dann wieder zuruͤck in den vorigen Schrank
tragen; kurz: immer Arbeiten ohne Zweck ver-
richten.

Dem Bruder Porphyr gefiel dieſes ſehr uͤbel.
Er beklagte ſich oft daruͤber gegen unſern Sieg-
wart, und ſagte, daß er dieſes nicht aushalte, und

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[1035/0615] Nach drey Wochen, die er nun im Kloſter zu- gebracht hatte, ward ihm vor dem Altar die Klei- dung angelegt. Sein ſchwarzes Kleid, das er in der Kirche ablegte, ward mit einer braunen Kutte vertauſcht, und das Noviziat fieng ſich an. Er bekam den Kloſternamen Georg. Er mußte nun alle die Geſchaͤfte und Uebungen des Gehorſams an- treten, die ein Neuangehender im Probejahr aus- zuhalten hat. Der damalige Novizmeiſter war ein ſtrenger und wunderlicher Mann, der den Novi- zien oft laͤcherliche Uebungen auflegte. So mußten ſie, zur Uebung im Gehorſam, Holz aus der Holzkammer holen, und wenn ſie ziemlich viel geholt hatten, mußten ſie es wieder zuruͤcktragen. Es ward ihnen warmes Eſſen vorgeſetzt, und wenn ſie eben eſſen wollten, ward es wieder weggenom- men, und ſie mußten trocknes Brod eſſen. Jn der Bibliothek mußten ſie im kalten Winter die Buͤcher |aus einem Schrank in den andern ſetzen, und dann wieder zuruͤck in den vorigen Schrank tragen; kurz: immer Arbeiten ohne Zweck ver- richten. Dem Bruder Porphyr gefiel dieſes ſehr uͤbel. Er beklagte ſich oft daruͤber gegen unſern Sieg- wart, und ſagte, daß er dieſes nicht aushalte, und

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1035. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/615>, abgerufen am 28.03.2024.