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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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danke an den Tod seiner Mariane fuhr wie ein
Blitz durch seine Seele, und er stürzte sich auf sei-
ne Knie und rief, indem ihm dicke Thränen aus
den Augen schossen: Heiliger Gott, du hast sie
mir genommen! Nur noch Einen Wunsch hab ich
auf Erden: Laß mich sterben! Heilige Mutter
Gottes, bitt für mich, und laß mich sterben! --
Ach Mariane, Mariane, rief er, indem er aufsprang,
und die Hände rang. Ach Vollendete, diese erste
Thräne widm' ich dir. Bald wird auch die |letzte
rinnen. -- Noch vor wenig Tagen .. ach du
Heilige .. vor wenig Tagen lagst du mir am
Herzen .. und nun bist du todt, todt, todt! -- --
Trostlos gieng er nun aufs neu umher; warf sich
wieder auf die Erde, bethete still, doch so, daß die
Lippen sich bewegten; und nachdem er ausgeweint
hatte, sank er in einen Sessel, und fiel in eine
Art von Betäubung ..

Kronhelm, der von Rothfels schon vorbereitet
war, trat nach einer Stunde leise in sein Zimmer.
Siegwart sah ihn ein paar Sekunden stier an, fuhr
auf, gieng eilig auf ihn zu, drückte ihn fest ans
Herz, und rief mit grosser Heftigkeit: Bruder,
Bruder! Kronhelm konnte lange nichts sprechen,
und führte ihn wieder nach dem Stuhl. Endlich



danke an den Tod ſeiner Mariane fuhr wie ein
Blitz durch ſeine Seele, und er ſtuͤrzte ſich auf ſei-
ne Knie und rief, indem ihm dicke Thraͤnen aus
den Augen ſchoſſen: Heiliger Gott, du haſt ſie
mir genommen! Nur noch Einen Wunſch hab ich
auf Erden: Laß mich ſterben! Heilige Mutter
Gottes, bitt fuͤr mich, und laß mich ſterben! —
Ach Mariane, Mariane, rief er, indem er aufſprang,
und die Haͤnde rang. Ach Vollendete, dieſe erſte
Thraͤne widm’ ich dir. Bald wird auch die |letzte
rinnen. — Noch vor wenig Tagen .. ach du
Heilige .. vor wenig Tagen lagſt du mir am
Herzen .. und nun biſt du todt, todt, todt! — —
Troſtlos gieng er nun aufs neu umher; warf ſich
wieder auf die Erde, bethete ſtill, doch ſo, daß die
Lippen ſich bewegten; und nachdem er ausgeweint
hatte, ſank er in einen Seſſel, und fiel in eine
Art von Betaͤubung ..

Kronhelm, der von Rothfels ſchon vorbereitet
war, trat nach einer Stunde leiſe in ſein Zimmer.
Siegwart ſah ihn ein paar Sekunden ſtier an, fuhr
auf, gieng eilig auf ihn zu, druͤckte ihn feſt ans
Herz, und rief mit groſſer Heftigkeit: Bruder,
Bruder! Kronhelm konnte lange nichts ſprechen,
und fuͤhrte ihn wieder nach dem Stuhl. Endlich

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[1018/0598] danke an den Tod ſeiner Mariane fuhr wie ein Blitz durch ſeine Seele, und er ſtuͤrzte ſich auf ſei- ne Knie und rief, indem ihm dicke Thraͤnen aus den Augen ſchoſſen: Heiliger Gott, du haſt ſie mir genommen! Nur noch Einen Wunſch hab ich auf Erden: Laß mich ſterben! Heilige Mutter Gottes, bitt fuͤr mich, und laß mich ſterben! — Ach Mariane, Mariane, rief er, indem er aufſprang, und die Haͤnde rang. Ach Vollendete, dieſe erſte Thraͤne widm’ ich dir. Bald wird auch die |letzte rinnen. — Noch vor wenig Tagen .. ach du Heilige .. vor wenig Tagen lagſt du mir am Herzen .. und nun biſt du todt, todt, todt! — — Troſtlos gieng er nun aufs neu umher; warf ſich wieder auf die Erde, bethete ſtill, doch ſo, daß die Lippen ſich bewegten; und nachdem er ausgeweint hatte, ſank er in einen Seſſel, und fiel in eine Art von Betaͤubung .. Kronhelm, der von Rothfels ſchon vorbereitet war, trat nach einer Stunde leiſe in ſein Zimmer. Siegwart ſah ihn ein paar Sekunden ſtier an, fuhr auf, gieng eilig auf ihn zu, druͤckte ihn feſt ans Herz, und rief mit groſſer Heftigkeit: Bruder, Bruder! Kronhelm konnte lange nichts ſprechen, und fuͤhrte ihn wieder nach dem Stuhl. Endlich

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1018. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/598>, abgerufen am 20.04.2024.