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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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waren eine Stunde weit gefahren, als der Mann
vom Pferd abstieg, einen Bedienten drauf sitzen
ließ, und sich in den Wagen setzte. Es war Roth-
fels. Siegwart war wieder etwas zu sich selbst
gekommen. Wo ist denn Marians? fragte Roth-
fels. -- Todt, todt! versetzte Siegwart. -- Fahrt
nach Steinfeld! rief Rothfels zum Kutscher; so
schnell, als ihr könnt! Der Wagen fuhr über
das Feld hin nach der Landstrasse.

Gegen zwey Uhr morgens kamen sie in Stein-
feld an, ohne daß Siegwart über zwanzig Worte
mit Rothfels gesprochen hatte. Man weckte den
Bedienten, der unten schlief, mit so wenig Lärm,
als möglich; so, daß Kronhelm und Therese nicht
aufgeweckt wurden. Man legte unsern Siegwart
in ein Bette, wo er in einer Art von Schlummer
bis gegen Morgen halb sinnlos lag. Bey Anbruch
des Tages erwachte er; nun sah er erst, daß er
in Steinfeld war; alles übrige, was sich die ver-
gangne Nacht mit ihm zugetragen hatte, kam ihm
noch wie ein Traum vor. Nach und nach kam
zu seiner Qual alles in sein Gedächtniß wieder zu-
rück, und er fühlte nun die Gewißheit und die
Größe seines Verlustes nur zu lebhaft. Der G-

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waren eine Stunde weit gefahren, als der Mann
vom Pferd abſtieg, einen Bedienten drauf ſitzen
ließ, und ſich in den Wagen ſetzte. Es war Roth-
fels. Siegwart war wieder etwas zu ſich ſelbſt
gekommen. Wo iſt denn Marians? fragte Roth-
fels. — Todt, todt! verſetzte Siegwart. — Fahrt
nach Steinfeld! rief Rothfels zum Kutſcher; ſo
ſchnell, als ihr koͤnnt! Der Wagen fuhr uͤber
das Feld hin nach der Landſtraſſe.

Gegen zwey Uhr morgens kamen ſie in Stein-
feld an, ohne daß Siegwart uͤber zwanzig Worte
mit Rothfels geſprochen hatte. Man weckte den
Bedienten, der unten ſchlief, mit ſo wenig Laͤrm,
als moͤglich; ſo, daß Kronhelm und Thereſe nicht
aufgeweckt wurden. Man legte unſern Siegwart
in ein Bette, wo er in einer Art von Schlummer
bis gegen Morgen halb ſinnlos lag. Bey Anbruch
des Tages erwachte er; nun ſah er erſt, daß er
in Steinfeld war; alles uͤbrige, was ſich die ver-
gangne Nacht mit ihm zugetragen hatte, kam ihm
noch wie ein Traum vor. Nach und nach kam
zu ſeiner Qual alles in ſein Gedaͤchtniß wieder zu-
ruͤck, und er fuͤhlte nun die Gewißheit und die
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[1017/0597] waren eine Stunde weit gefahren, als der Mann vom Pferd abſtieg, einen Bedienten drauf ſitzen ließ, und ſich in den Wagen ſetzte. Es war Roth- fels. Siegwart war wieder etwas zu ſich ſelbſt gekommen. Wo iſt denn Marians? fragte Roth- fels. — Todt, todt! verſetzte Siegwart. — Fahrt nach Steinfeld! rief Rothfels zum Kutſcher; ſo ſchnell, als ihr koͤnnt! Der Wagen fuhr uͤber das Feld hin nach der Landſtraſſe. Gegen zwey Uhr morgens kamen ſie in Stein- feld an, ohne daß Siegwart uͤber zwanzig Worte mit Rothfels geſprochen hatte. Man weckte den Bedienten, der unten ſchlief, mit ſo wenig Laͤrm, als moͤglich; ſo, daß Kronhelm und Thereſe nicht aufgeweckt wurden. Man legte unſern Siegwart in ein Bette, wo er in einer Art von Schlummer bis gegen Morgen halb ſinnlos lag. Bey Anbruch des Tages erwachte er; nun ſah er erſt, daß er in Steinfeld war; alles uͤbrige, was ſich die ver- gangne Nacht mit ihm zugetragen hatte, kam ihm noch wie ein Traum vor. Nach und nach kam zu ſeiner Qual alles in ſein Gedaͤchtniß wieder zu- ruͤck, und er fuͤhlte nun die Gewißheit und die Groͤße ſeines Verluſtes nur zu lebhaft. Der G- T t t

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1017. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/597>, abgerufen am 19.04.2024.