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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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mer mehr an, Anstalten zu ihrer Flucht zu machen.
Er versprach ihrs zuverläßig, und sagte, er erwar-
te nur noch eine Nachricht von Marianens Vater,
und wenn er sie ihr gegeben habe, woll er suchen,
mit ihr zu entkommen. Er sey Marianen schul-
dig, sein Versprechen zu halten, weil er sie als
Kind noch gekannt, und viel Gutes von ihr ge-
nossen habe. Durch diese List machte er Brigitten
immer begieriger, ihm bald noch eine Unterredung
mit Marianen zu verschaffen, weil sie glaubte,
nach derselben halt ihn nichts mehr im Kloster zurück.

Etlich Tage drauf kam er endlich einmal des
Morgens mit Freuden zu Brigitten, und sagte,
nun hab er Nachricht für Marianen und zwar eine
sehr frohe; sie möchte nun machen, daß er sie
auf den Abend sprechen könnte; und um dem Mäd-
chen alle ängstliche Unruhe zu benehmen, möchte sie
ihr doch dieses versiegelte Blatt worinn er ihr vorläu-
fig Nachricht gebe, zustellen. Brigitte nahm das
Blatt in die Hand, versprach, es Marianen zu-
zustellen, und sie Abends um 10 Uhr in den Gar-
ten zu bringen. Jndem sie das Blatt noch in der
Hand hielt, kam die Aebtissin um | die | Ecke | des
Kreuzganges, wo sie standen, herum; Siegwart



mer mehr an, Anſtalten zu ihrer Flucht zu machen.
Er verſprach ihrs zuverlaͤßig, und ſagte, er erwar-
te nur noch eine Nachricht von Marianens Vater,
und wenn er ſie ihr gegeben habe, woll er ſuchen,
mit ihr zu entkommen. Er ſey Marianen ſchul-
dig, ſein Verſprechen zu halten, weil er ſie als
Kind noch gekannt, und viel Gutes von ihr ge-
noſſen habe. Durch dieſe Liſt machte er Brigitten
immer begieriger, ihm bald noch eine Unterredung
mit Marianen zu verſchaffen, weil ſie glaubte,
nach derſelben halt ihn nichts mehr im Kloſter zuruͤck.

Etlich Tage drauf kam er endlich einmal des
Morgens mit Freuden zu Brigitten, und ſagte,
nun hab er Nachricht fuͤr Marianen und zwar eine
ſehr frohe; ſie moͤchte nun machen, daß er ſie
auf den Abend ſprechen koͤnnte; und um dem Maͤd-
chen alle aͤngſtliche Unruhe zu benehmen, moͤchte ſie
ihr doch dieſes verſiegelte Blatt worinn er ihr vorlaͤu-
fig Nachricht gebe, zuſtellen. Brigitte nahm das
Blatt in die Hand, verſprach, es Marianen zu-
zuſtellen, und ſie Abends um 10 Uhr in den Gar-
ten zu bringen. Jndem ſie das Blatt noch in der
Hand hielt, kam die Aebtiſſin um | die | Ecke | des
Kreuzganges, wo ſie ſtanden, herum; Siegwart

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[1012/0592] mer mehr an, Anſtalten zu ihrer Flucht zu machen. Er verſprach ihrs zuverlaͤßig, und ſagte, er erwar- te nur noch eine Nachricht von Marianens Vater, und wenn er ſie ihr gegeben habe, woll er ſuchen, mit ihr zu entkommen. Er ſey Marianen ſchul- dig, ſein Verſprechen zu halten, weil er ſie als Kind noch gekannt, und viel Gutes von ihr ge- noſſen habe. Durch dieſe Liſt machte er Brigitten immer begieriger, ihm bald noch eine Unterredung mit Marianen zu verſchaffen, weil ſie glaubte, nach derſelben halt ihn nichts mehr im Kloſter zuruͤck. Etlich Tage drauf kam er endlich einmal des Morgens mit Freuden zu Brigitten, und ſagte, nun hab er Nachricht fuͤr Marianen und zwar eine ſehr frohe; ſie moͤchte nun machen, daß er ſie auf den Abend ſprechen koͤnnte; und um dem Maͤd- chen alle aͤngſtliche Unruhe zu benehmen, moͤchte ſie ihr doch dieſes verſiegelte Blatt worinn er ihr vorlaͤu- fig Nachricht gebe, zuſtellen. Brigitte nahm das Blatt in die Hand, verſprach, es Marianen zu- zuſtellen, und ſie Abends um 10 Uhr in den Gar- ten zu bringen. Jndem ſie das Blatt noch in der Hand hielt, kam die Aebtiſſin um | die | Ecke | des Kreuzganges, wo ſie ſtanden, herum; Siegwart

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1012. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/592>, abgerufen am 29.03.2024.