Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



derzulegen; denn um fünf Uhr war der Mieth-
kutscher bestellt, der ihn nach Jngolstadt führen
sollte. Anfangs wollt es Kronhelm nicht thun,
weil er doch nicht schlafen könne; aber endlich gab
er seines Freundes Bitten nach. Siegwart sah
indessen die vom Monde blaßerhellte Gegend, war
voll tiefer Wehmuth, und schrieb in ihr diese Ver-
se nieder:

An meinen Kronhelm, als Er mich verließ.
Die bange Scheidestunde naht
Mit allen ihren Qualen;
Der Mond beleuchtet ihren Pfad
Mit blassen Todesstralen.
Wo nehm' ich Muth, zu scheiden, her,
Daß nicht das Herz mir breche?
Schau du, o Gott, vom Himmel her,
Und blick auf meine Schwäche!
Leb wohl, du Theurer! Ach, ich kann
Dir keinen Segen geben.
Geh! Leb als Christ, und duld' als Mann,
Und blick ins beßre Leben!
Vielleicht, daß dir nach langer Nacht
Noch hier ein Morgen glänzet;



derzulegen; denn um fuͤnf Uhr war der Mieth-
kutſcher beſtellt, der ihn nach Jngolſtadt fuͤhren
ſollte. Anfangs wollt es Kronhelm nicht thun,
weil er doch nicht ſchlafen koͤnne; aber endlich gab
er ſeines Freundes Bitten nach. Siegwart ſah
indeſſen die vom Monde blaßerhellte Gegend, war
voll tiefer Wehmuth, und ſchrieb in ihr dieſe Ver-
ſe nieder:

An meinen Kronhelm, als Er mich verließ.
Die bange Scheideſtunde naht
Mit allen ihren Qualen;
Der Mond beleuchtet ihren Pfad
Mit blaſſen Todesſtralen.
Wo nehm’ ich Muth, zu ſcheiden, her,
Daß nicht das Herz mir breche?
Schau du, o Gott, vom Himmel her,
Und blick auf meine Schwaͤche!
Leb wohl, du Theurer! Ach, ich kann
Dir keinen Segen geben.
Geh! Leb als Chriſt, und duld’ als Mann,
Und blick ins beßre Leben!
Vielleicht, daß dir nach langer Nacht
Noch hier ein Morgen glaͤnzet;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="478"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
derzulegen; denn um fu&#x0364;nf Uhr war der Mieth-<lb/>
kut&#x017F;cher be&#x017F;tellt, der ihn nach Jngol&#x017F;tadt fu&#x0364;hren<lb/>
&#x017F;ollte. Anfangs wollt es Kronhelm nicht thun,<lb/>
weil er doch nicht &#x017F;chlafen ko&#x0364;nne; aber endlich gab<lb/>
er &#x017F;eines Freundes Bitten nach. Siegwart &#x017F;ah<lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en die vom Monde blaßerhellte Gegend, war<lb/>
voll tiefer Wehmuth, und &#x017F;chrieb in ihr die&#x017F;e Ver-<lb/>
&#x017F;e nieder:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <head>An meinen <hi rendition="#fr">Kronhelm,</hi> als Er mich verließ.</head><lb/>
          <lg n="1">
            <l>Die bange Scheide&#x017F;tunde naht</l><lb/>
            <l>Mit allen ihren Qualen;</l><lb/>
            <l>Der Mond beleuchtet ihren Pfad</l><lb/>
            <l>Mit bla&#x017F;&#x017F;en Todes&#x017F;tralen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Wo nehm&#x2019; ich Muth, zu &#x017F;cheiden, her,</l><lb/>
            <l>Daß nicht das Herz mir breche?</l><lb/>
            <l>Schau du, o Gott, vom Himmel her,</l><lb/>
            <l>Und blick auf meine Schwa&#x0364;che!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Leb wohl, du Theurer! Ach, ich kann</l><lb/>
            <l>Dir keinen Segen geben.</l><lb/>
            <l>Geh! Leb als Chri&#x017F;t, und duld&#x2019; als Mann,</l><lb/>
            <l>Und blick ins beßre Leben!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="4">
            <l>Vielleicht, daß dir nach langer Nacht</l><lb/>
            <l>Noch hier ein Morgen gla&#x0364;nzet;</l><lb/>
            <l>
</l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[478/0058] derzulegen; denn um fuͤnf Uhr war der Mieth- kutſcher beſtellt, der ihn nach Jngolſtadt fuͤhren ſollte. Anfangs wollt es Kronhelm nicht thun, weil er doch nicht ſchlafen koͤnne; aber endlich gab er ſeines Freundes Bitten nach. Siegwart ſah indeſſen die vom Monde blaßerhellte Gegend, war voll tiefer Wehmuth, und ſchrieb in ihr dieſe Ver- ſe nieder: An meinen Kronhelm, als Er mich verließ. Die bange Scheideſtunde naht Mit allen ihren Qualen; Der Mond beleuchtet ihren Pfad Mit blaſſen Todesſtralen. Wo nehm’ ich Muth, zu ſcheiden, her, Daß nicht das Herz mir breche? Schau du, o Gott, vom Himmel her, Und blick auf meine Schwaͤche! Leb wohl, du Theurer! Ach, ich kann Dir keinen Segen geben. Geh! Leb als Chriſt, und duld’ als Mann, Und blick ins beßre Leben! Vielleicht, daß dir nach langer Nacht Noch hier ein Morgen glaͤnzet;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/58
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/58>, abgerufen am 25.04.2024.