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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Mensch auf den Einfall kam, ihn für eine ver-
kappte Person zu halten. Rothfels ließ ihn oft auf
sein Zimmer kommen, oder sprach Abends mit ihm,
und redete mit ihm ab, wie er sich im Kloster zu
betragen habe. Siegwart gab ihm ein kleines Brief-
chen, worin er Marianen auf diese List vorbereitete,
und auf den Gärtner Georg aufmerksam machte.
Rothfels versprach ihm, bald den Pater in den Gar-
ten zu bringen; dann soll er sich traurig stellen,
daß der Pater auf ihn aufmerksam werde, und
ihm dann sein Anliegen vorbringen.

Einige Tage drauf kam Rothfels mit dem Pa-
ter in den Garten. Er entfernte sich bald darauf,
unter dem Vorwand von Geschäften, und ließ
den Pater allein. Siegwart machte sich in dem
Gang, wo der Pater gieng, etwas zu schaffen;
stellte sich sehr traurig an, wischte sich die Augen,
und weinte. Der Pater fragte ihn, was ihm
fehle? Ach lieber, wohlehrwürdiger Herr, antwor-
tete Siegwart: Da hat mir heut mein Herr ge-
sagt, er sey zwar mit meiner Arbeit sehr zufrieden,
wie Sie ihn selbst fragen können; aber, weil er
mit seinem vorigen Gärtner wieder eins gewor-
den sey, so könn er mich nicht länger behalten; es
sall ihm zu schwer, zwey Gärtner zu bezahlen;



Menſch auf den Einfall kam, ihn fuͤr eine ver-
kappte Perſon zu halten. Rothfels ließ ihn oft auf
ſein Zimmer kommen, oder ſprach Abends mit ihm,
und redete mit ihm ab, wie er ſich im Kloſter zu
betragen habe. Siegwart gab ihm ein kleines Brief-
chen, worin er Marianen auf dieſe Liſt vorbereitete,
und auf den Gaͤrtner Georg aufmerkſam machte.
Rothfels verſprach ihm, bald den Pater in den Gar-
ten zu bringen; dann ſoll er ſich traurig ſtellen,
daß der Pater auf ihn aufmerkſam werde, und
ihm dann ſein Anliegen vorbringen.

Einige Tage drauf kam Rothfels mit dem Pa-
ter in den Garten. Er entfernte ſich bald darauf,
unter dem Vorwand von Geſchaͤften, und ließ
den Pater allein. Siegwart machte ſich in dem
Gang, wo der Pater gieng, etwas zu ſchaffen;
ſtellte ſich ſehr traurig an, wiſchte ſich die Augen,
und weinte. Der Pater fragte ihn, was ihm
fehle? Ach lieber, wohlehrwuͤrdiger Herr, antwor-
tete Siegwart: Da hat mir heut mein Herr ge-
ſagt, er ſey zwar mit meiner Arbeit ſehr zufrieden,
wie Sie ihn ſelbſt fragen koͤnnen; aber, weil er
mit ſeinem vorigen Gaͤrtner wieder eins gewor-
den ſey, ſo koͤnn er mich nicht laͤnger behalten; es
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[998/0578] Menſch auf den Einfall kam, ihn fuͤr eine ver- kappte Perſon zu halten. Rothfels ließ ihn oft auf ſein Zimmer kommen, oder ſprach Abends mit ihm, und redete mit ihm ab, wie er ſich im Kloſter zu betragen habe. Siegwart gab ihm ein kleines Brief- chen, worin er Marianen auf dieſe Liſt vorbereitete, und auf den Gaͤrtner Georg aufmerkſam machte. Rothfels verſprach ihm, bald den Pater in den Gar- ten zu bringen; dann ſoll er ſich traurig ſtellen, daß der Pater auf ihn aufmerkſam werde, und ihm dann ſein Anliegen vorbringen. Einige Tage drauf kam Rothfels mit dem Pa- ter in den Garten. Er entfernte ſich bald darauf, unter dem Vorwand von Geſchaͤften, und ließ den Pater allein. Siegwart machte ſich in dem Gang, wo der Pater gieng, etwas zu ſchaffen; ſtellte ſich ſehr traurig an, wiſchte ſich die Augen, und weinte. Der Pater fragte ihn, was ihm fehle? Ach lieber, wohlehrwuͤrdiger Herr, antwor- tete Siegwart: Da hat mir heut mein Herr ge- ſagt, er ſey zwar mit meiner Arbeit ſehr zufrieden, wie Sie ihn ſelbſt fragen koͤnnen; aber, weil er mit ſeinem vorigen Gaͤrtner wieder eins gewor- den ſey, ſo koͤnn er mich nicht laͤnger behalten; es ſall ihm zu ſchwer, zwey Gaͤrtner zu bezahlen;

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 998. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/578>, abgerufen am 23.04.2024.