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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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und Morgenthau mit neuer Kraft und neuen Düf-
ten wieder aufrichtet. Kronhelm sah sein Ebenbild,
den jungen Wilhelm an ihrer mütterlichen Brust
liegen, und wenn er sich einen Augenblick entfer-
nen muste, so küßte Therese in dem kleinen Liebling
ihren theuren Kronhelm. Die Freude über ihre
Wiedergenesung war im Schloß und im Dorf all-
gemein. Die Bäurinnen kamen eine nach der an-
dern, um ihre liebe gnädige Frau wieder zu sehen,
und ihr Glück zu wünschen. Die Bauren hielten
an, ob sie nicht einen Tanz deswegen halten dürf-
ten? Kronhelm ließ ihnen Bier und Wein
und Fleisch genug geben. Sie schickten durch etlich
junge Mädchen, die sie, auf Anordnung ihres
Geistlichen, als Schäferinnen gekleidet hatten, un-
ter Musik von Geigen und Schallmeyen, einen,
mit Kornblumen durchflochtenen Aehrenkranz, und
ein Schaf, das das älteste Mädchen an einem
rothen Band führte, wobey sie zugleich eine artige
Glückwünschungsrede an Theresen hielt.

Siegwart ward durch diese allgemeine Freude,
und noch mehr durch die Hofnung, seine Mariane
bald wieder zu erhalten, wieder neu belebt. Er
war mit der Welt fast ganz wieder ausgesöhnt,
empfond die Schönheit der Natur, und das Glück



und Morgenthau mit neuer Kraft und neuen Duͤf-
ten wieder aufrichtet. Kronhelm ſah ſein Ebenbild,
den jungen Wilhelm an ihrer muͤtterlichen Bruſt
liegen, und wenn er ſich einen Augenblick entfer-
nen muſte, ſo kuͤßte Thereſe in dem kleinen Liebling
ihren theuren Kronhelm. Die Freude uͤber ihre
Wiedergeneſung war im Schloß und im Dorf all-
gemein. Die Baͤurinnen kamen eine nach der an-
dern, um ihre liebe gnaͤdige Frau wieder zu ſehen,
und ihr Gluͤck zu wuͤnſchen. Die Bauren hielten
an, ob ſie nicht einen Tanz deswegen halten duͤrf-
ten? Kronhelm ließ ihnen Bier und Wein
und Fleiſch genug geben. Sie ſchickten durch etlich
junge Maͤdchen, die ſie, auf Anordnung ihres
Geiſtlichen, als Schaͤferinnen gekleidet hatten, un-
ter Muſik von Geigen und Schallmeyen, einen,
mit Kornblumen durchflochtenen Aehrenkranz, und
ein Schaf, das das aͤlteſte Maͤdchen an einem
rothen Band fuͤhrte, wobey ſie zugleich eine artige
Gluͤckwuͤnſchungsrede an Thereſen hielt.

Siegwart ward durch dieſe allgemeine Freude,
und noch mehr durch die Hofnung, ſeine Mariane
bald wieder zu erhalten, wieder neu belebt. Er
war mit der Welt faſt ganz wieder ausgeſoͤhnt,
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[993/0573] und Morgenthau mit neuer Kraft und neuen Duͤf- ten wieder aufrichtet. Kronhelm ſah ſein Ebenbild, den jungen Wilhelm an ihrer muͤtterlichen Bruſt liegen, und wenn er ſich einen Augenblick entfer- nen muſte, ſo kuͤßte Thereſe in dem kleinen Liebling ihren theuren Kronhelm. Die Freude uͤber ihre Wiedergeneſung war im Schloß und im Dorf all- gemein. Die Baͤurinnen kamen eine nach der an- dern, um ihre liebe gnaͤdige Frau wieder zu ſehen, und ihr Gluͤck zu wuͤnſchen. Die Bauren hielten an, ob ſie nicht einen Tanz deswegen halten duͤrf- ten? Kronhelm ließ ihnen Bier und Wein und Fleiſch genug geben. Sie ſchickten durch etlich junge Maͤdchen, die ſie, auf Anordnung ihres Geiſtlichen, als Schaͤferinnen gekleidet hatten, un- ter Muſik von Geigen und Schallmeyen, einen, mit Kornblumen durchflochtenen Aehrenkranz, und ein Schaf, das das aͤlteſte Maͤdchen an einem rothen Band fuͤhrte, wobey ſie zugleich eine artige Gluͤckwuͤnſchungsrede an Thereſen hielt. Siegwart ward durch dieſe allgemeine Freude, und noch mehr durch die Hofnung, ſeine Mariane bald wieder zu erhalten, wieder neu belebt. Er war mit der Welt faſt ganz wieder ausgeſoͤhnt, empfond die Schoͤnheit der Natur, und das Gluͤck

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 993. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/573>, abgerufen am 29.03.2024.