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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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ich ihn auf meine Ehre versicherte, daß dieses gar
nicht meine Absicht sey, weil ich ja schon eine Braut
habe, gab er sich endlich zur Ruhe. Ueberhaupt
hat er mehr den Schein eines eifrigen Religiösen,
als ers in der That ist. Wenn er sich nur von
seiner Seite in Sicherheit weiß -- und darauf
schwur ich ihm -- so kann ich ihn brauchen, wie
und wozu ich will; denn der Schalk weiß wohl,
daß er von mir viel zu geniessen hat. -- Wir
müssen jezt nun sehen, was zu thun ist? Siegwart
muß mir zuförderst einen Brief an Marianen ge-
ben; das übrige müssen wir von Zeit und Um-
ständen erwarten.

Siegwart war vor Freuden ausser sich; er um-
armte Rothfels und Kronhelm tausendmal, und
doch, als der erste Taumel vorbey war, schien ihm
alles viel zu langsam zu gehen. Er wollte am
Ziel seyn, eh er den Weg dahin beträte. Seine
Freunde sprachen ihm soviel als möglich Geduld
und Gelasfenheit ein, und baten ihn, nur erst an
Marianen zu schreiben. Er schrieb auch noch den-
selben Abend diesen Brief, und gab ihn Rothfels
mit:

"Also lebst du noch, du Engel, und ich hab um-
sonst dich als todt beweint? Dank, ewiger Dank



ich ihn auf meine Ehre verſicherte, daß dieſes gar
nicht meine Abſicht ſey, weil ich ja ſchon eine Braut
habe, gab er ſich endlich zur Ruhe. Ueberhaupt
hat er mehr den Schein eines eifrigen Religioͤſen,
als ers in der That iſt. Wenn er ſich nur von
ſeiner Seite in Sicherheit weiß — und darauf
ſchwur ich ihm — ſo kann ich ihn brauchen, wie
und wozu ich will; denn der Schalk weiß wohl,
daß er von mir viel zu genieſſen hat. — Wir
muͤſſen jezt nun ſehen, was zu thun iſt? Siegwart
muß mir zufoͤrderſt einen Brief an Marianen ge-
ben; das uͤbrige muͤſſen wir von Zeit und Um-
ſtaͤnden erwarten.

Siegwart war vor Freuden auſſer ſich; er um-
armte Rothfels und Kronhelm tauſendmal, und
doch, als der erſte Taumel vorbey war, ſchien ihm
alles viel zu langſam zu gehen. Er wollte am
Ziel ſeyn, eh er den Weg dahin betraͤte. Seine
Freunde ſprachen ihm ſoviel als moͤglich Geduld
und Gelaſfenheit ein, und baten ihn, nur erſt an
Marianen zu ſchreiben. Er ſchrieb auch noch den-
ſelben Abend dieſen Brief, und gab ihn Rothfels
mit:

„Alſo lebſt du noch, du Engel, und ich hab um-
ſonſt dich als todt beweint? Dank, ewiger Dank

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[990/0570] ich ihn auf meine Ehre verſicherte, daß dieſes gar nicht meine Abſicht ſey, weil ich ja ſchon eine Braut habe, gab er ſich endlich zur Ruhe. Ueberhaupt hat er mehr den Schein eines eifrigen Religioͤſen, als ers in der That iſt. Wenn er ſich nur von ſeiner Seite in Sicherheit weiß — und darauf ſchwur ich ihm — ſo kann ich ihn brauchen, wie und wozu ich will; denn der Schalk weiß wohl, daß er von mir viel zu genieſſen hat. — Wir muͤſſen jezt nun ſehen, was zu thun iſt? Siegwart muß mir zufoͤrderſt einen Brief an Marianen ge- ben; das uͤbrige muͤſſen wir von Zeit und Um- ſtaͤnden erwarten. Siegwart war vor Freuden auſſer ſich; er um- armte Rothfels und Kronhelm tauſendmal, und doch, als der erſte Taumel vorbey war, ſchien ihm alles viel zu langſam zu gehen. Er wollte am Ziel ſeyn, eh er den Weg dahin betraͤte. Seine Freunde ſprachen ihm ſoviel als moͤglich Geduld und Gelaſfenheit ein, und baten ihn, nur erſt an Marianen zu ſchreiben. Er ſchrieb auch noch den- ſelben Abend dieſen Brief, und gab ihn Rothfels mit: „Alſo lebſt du noch, du Engel, und ich hab um- ſonſt dich als todt beweint? Dank, ewiger Dank

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 990. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/570>, abgerufen am 25.04.2024.