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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Kronhelm und Therese hingegen sahen noch tau-
send Schwierigkeiten vor sich. Denn fürs erste war
es noch nicht ausgemacht, daß das beschriebne Frauen-
zimmer Mariane sey; und dann, wenn sies wäre,
wie wollte Siegwart sie sprechen, und wie sie wie-
der aus dem Kloster los bekommen? Alle diese und
noch hundert andre Bedenklichkeiten schwebten vor ih-
nen; sie beredeten sich darüber miteinander, und
wünschten nur, dieselben nach und nach unserm
Siegwart beyzubringen! Aber dieses war unendlich
schwer. Wenn sie sich nur von ferne etwas mer-
ken liessen, so baute er entweder vor, oder gerieth
in die heftigste Bewegung darüber; nannte sie klein-
müthig und ängstlich, oder warf ihnen vor, sie
nehmen an seinem Schicksal keinen Antheil, und
wollten sich seinem Glück entgegen setzen. Alles,
was sie bey ihm ausrichten konnten, war, daß er
seine Ungeduld etwas minderte, und ein klein we-
nig behutsamer wurde; denn er sprach immer, auch
in Gegenwart der Bedienten, von Marianen und
ihrer Entführung.

Zween Tage drauf, die er in der ungeduldigsten
Erwartung zugebracht hatte, kam Rothfels wieder.
Siegwart sprang ihm mit lautem Herzklopfen in
den Hof hinab entgegen, und rief ihm zu: Wie



Kronhelm und Thereſe hingegen ſahen noch tau-
ſend Schwierigkeiten vor ſich. Denn fuͤrs erſte war
es noch nicht ausgemacht, daß das beſchriebne Frauen-
zimmer Mariane ſey; und dann, wenn ſies waͤre,
wie wollte Siegwart ſie ſprechen, und wie ſie wie-
der aus dem Kloſter los bekommen? Alle dieſe und
noch hundert andre Bedenklichkeiten ſchwebten vor ih-
nen; ſie beredeten ſich daruͤber miteinander, und
wuͤnſchten nur, dieſelben nach und nach unſerm
Siegwart beyzubringen! Aber dieſes war unendlich
ſchwer. Wenn ſie ſich nur von ferne etwas mer-
ken lieſſen, ſo baute er entweder vor, oder gerieth
in die heftigſte Bewegung daruͤber; nannte ſie klein-
muͤthig und aͤngſtlich, oder warf ihnen vor, ſie
nehmen an ſeinem Schickſal keinen Antheil, und
wollten ſich ſeinem Gluͤck entgegen ſetzen. Alles,
was ſie bey ihm ausrichten konnten, war, daß er
ſeine Ungeduld etwas minderte, und ein klein we-
nig behutſamer wurde; denn er ſprach immer, auch
in Gegenwart der Bedienten, von Marianen und
ihrer Entfuͤhrung.

Zween Tage drauf, die er in der ungeduldigſten
Erwartung zugebracht hatte, kam Rothfels wieder.
Siegwart ſprang ihm mit lautem Herzklopfen in
den Hof hinab entgegen, und rief ihm zu: Wie

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[988/0568] Kronhelm und Thereſe hingegen ſahen noch tau- ſend Schwierigkeiten vor ſich. Denn fuͤrs erſte war es noch nicht ausgemacht, daß das beſchriebne Frauen- zimmer Mariane ſey; und dann, wenn ſies waͤre, wie wollte Siegwart ſie ſprechen, und wie ſie wie- der aus dem Kloſter los bekommen? Alle dieſe und noch hundert andre Bedenklichkeiten ſchwebten vor ih- nen; ſie beredeten ſich daruͤber miteinander, und wuͤnſchten nur, dieſelben nach und nach unſerm Siegwart beyzubringen! Aber dieſes war unendlich ſchwer. Wenn ſie ſich nur von ferne etwas mer- ken lieſſen, ſo baute er entweder vor, oder gerieth in die heftigſte Bewegung daruͤber; nannte ſie klein- muͤthig und aͤngſtlich, oder warf ihnen vor, ſie nehmen an ſeinem Schickſal keinen Antheil, und wollten ſich ſeinem Gluͤck entgegen ſetzen. Alles, was ſie bey ihm ausrichten konnten, war, daß er ſeine Ungeduld etwas minderte, und ein klein we- nig behutſamer wurde; denn er ſprach immer, auch in Gegenwart der Bedienten, von Marianen und ihrer Entfuͤhrung. Zween Tage drauf, die er in der ungeduldigſten Erwartung zugebracht hatte, kam Rothfels wieder. Siegwart ſprang ihm mit lautem Herzklopfen in den Hof hinab entgegen, und rief ihm zu: Wie

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 988. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/568>, abgerufen am 28.03.2024.