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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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des Jammers. Siegwart kam fast nie vom Bet-
te seiner Schwester, und zerfloß in Thränen. Die
Dienstbothen sahen alle blaß aus, wie der Tod, wein-
ten in allen Ecken, und wagtens kaum, laut zu
sprechen, oder sich um das Besinden ihrer besten
Frau zu fragen, weil jeder fürchtete, die Todes-
post zu hören. Kronhelm wollte nicht vom Bette
weggehen; als er aber einmal übers andre ohn-
mächtig wurde, so brachte man ihn endlich, auf
den Rath der Aerzte, in einer Ohnmacht auf sein
Zimmer, und bat unsern Siegwart, ihn zurück
zu halten, nicht wieder vors Krankenbette zu kom-
men, weil sein Aechzen seine ohnedies schon ge-
nug geschwächte Frau noch mehr entkräftete.

Therese lag, mit himmlischer Gelassenheit, das
Gesicht schon fast mit Todesschweiß bedeckt, auf
ihrem Bette; sah bald mit halbgebrochnen Augen
gen Himmel, bald suchte sie mit ängstlicher und
liebvoller Sorgfalt ihren Kronhelm, hätt ihm gern
gerufen, wenn ihr die Stimme nicht entgangen
wäre; dann weinte sie, daß sie umsonst ihn suchte.
Sie verlangte durch einen Wink ihr Kind, schloß
es mit schwachen Händen an ihr mütterliches Herz,
küßte es, und sah gen Himmel, als ob sie ihren
Liebling in die Hände des Allmächtigen empföhle.



des Jammers. Siegwart kam faſt nie vom Bet-
te ſeiner Schweſter, und zerfloß in Thraͤnen. Die
Dienſtbothen ſahen alle blaß aus, wie der Tod, wein-
ten in allen Ecken, und wagtens kaum, laut zu
ſprechen, oder ſich um das Beſinden ihrer beſten
Frau zu fragen, weil jeder fuͤrchtete, die Todes-
poſt zu hoͤren. Kronhelm wollte nicht vom Bette
weggehen; als er aber einmal uͤbers andre ohn-
maͤchtig wurde, ſo brachte man ihn endlich, auf
den Rath der Aerzte, in einer Ohnmacht auf ſein
Zimmer, und bat unſern Siegwart, ihn zuruͤck
zu halten, nicht wieder vors Krankenbette zu kom-
men, weil ſein Aechzen ſeine ohnedies ſchon ge-
nug geſchwaͤchte Frau noch mehr entkraͤftete.

Thereſe lag, mit himmliſcher Gelaſſenheit, das
Geſicht ſchon faſt mit Todesſchweiß bedeckt, auf
ihrem Bette; ſah bald mit halbgebrochnen Augen
gen Himmel, bald ſuchte ſie mit aͤngſtlicher und
liebvoller Sorgfalt ihren Kronhelm, haͤtt ihm gern
gerufen, wenn ihr die Stimme nicht entgangen
waͤre; dann weinte ſie, daß ſie umſonſt ihn ſuchte.
Sie verlangte durch einen Wink ihr Kind, ſchloß
es mit ſchwachen Haͤnden an ihr muͤtterliches Herz,
kuͤßte es, und ſah gen Himmel, als ob ſie ihren
Liebling in die Haͤnde des Allmaͤchtigen empfoͤhle.

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[979/0559] des Jammers. Siegwart kam faſt nie vom Bet- te ſeiner Schweſter, und zerfloß in Thraͤnen. Die Dienſtbothen ſahen alle blaß aus, wie der Tod, wein- ten in allen Ecken, und wagtens kaum, laut zu ſprechen, oder ſich um das Beſinden ihrer beſten Frau zu fragen, weil jeder fuͤrchtete, die Todes- poſt zu hoͤren. Kronhelm wollte nicht vom Bette weggehen; als er aber einmal uͤbers andre ohn- maͤchtig wurde, ſo brachte man ihn endlich, auf den Rath der Aerzte, in einer Ohnmacht auf ſein Zimmer, und bat unſern Siegwart, ihn zuruͤck zu halten, nicht wieder vors Krankenbette zu kom- men, weil ſein Aechzen ſeine ohnedies ſchon ge- nug geſchwaͤchte Frau noch mehr entkraͤftete. Thereſe lag, mit himmliſcher Gelaſſenheit, das Geſicht ſchon faſt mit Todesſchweiß bedeckt, auf ihrem Bette; ſah bald mit halbgebrochnen Augen gen Himmel, bald ſuchte ſie mit aͤngſtlicher und liebvoller Sorgfalt ihren Kronhelm, haͤtt ihm gern gerufen, wenn ihr die Stimme nicht entgangen waͤre; dann weinte ſie, daß ſie umſonſt ihn ſuchte. Sie verlangte durch einen Wink ihr Kind, ſchloß es mit ſchwachen Haͤnden an ihr muͤtterliches Herz, kuͤßte es, und ſah gen Himmel, als ob ſie ihren Liebling in die Haͤnde des Allmaͤchtigen empfoͤhle.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 979. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/559>, abgerufen am 28.03.2024.