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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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liche Träume und Entwürfe wußte er das unruhi-
ge Gemüth seines Freundes etwas in Schlummer
zu wiegen, so daß dieser über den Träumen seine
Leiden gröstentheils vergaß, und in einer Art von
süssem Taumel fortritt, bis sie endlich Abends in
der Dämmerung zu Steinfeld ankamen. --

Therese kam ihnen eine Stunde vor dem Schloß
in ihrem Wagen entgegen. Sie hatte schon zwey
Tage umsonst auf ihren Kronhelm gewartet, und
die schrecklichsten Beängstigungen ausgestanden.
Sie sprang aus dem Wagen, als sie ihren Mann
wieder sah, und fiel fast vor Freuden in Ohn-
macht. Nach diesem sah sie erst ihren Bruder,
und umarmte ihn. Der Bediente, der auf dem
Wagen stand, mußte die beyden Pferde nach Haus
bringen, und Siegwart und Kronhelm setzten sich
zu Therese in den Wagen. Mit der Einen Hand
hielt sie ihres Mannes, und mit der andern ihres
Bruders Hand, und zitterte vor Freuden, beyde
wieder zu haben. Das erste, was sie nun nach
ihrer Bestürzung fragen konnte, war nach den Um-
ständen ihres Bruders. Sie ward durch das
traurige Gemälde, das er davon machte, sehr nie-
dergeschlagen und traurig. Doch suchte sie ihm
Muth und Hoffnung einzuflössen, und war in ih-



liche Traͤume und Entwuͤrfe wußte er das unruhi-
ge Gemuͤth ſeines Freundes etwas in Schlummer
zu wiegen, ſo daß dieſer uͤber den Traͤumen ſeine
Leiden groͤſtentheils vergaß, und in einer Art von
ſuͤſſem Taumel fortritt, bis ſie endlich Abends in
der Daͤmmerung zu Steinfeld ankamen. —

Thereſe kam ihnen eine Stunde vor dem Schloß
in ihrem Wagen entgegen. Sie hatte ſchon zwey
Tage umſonſt auf ihren Kronhelm gewartet, und
die ſchrecklichſten Beaͤngſtigungen ausgeſtanden.
Sie ſprang aus dem Wagen, als ſie ihren Mann
wieder ſah, und fiel faſt vor Freuden in Ohn-
macht. Nach dieſem ſah ſie erſt ihren Bruder,
und umarmte ihn. Der Bediente, der auf dem
Wagen ſtand, mußte die beyden Pferde nach Haus
bringen, und Siegwart und Kronhelm ſetzten ſich
zu Thereſe in den Wagen. Mit der Einen Hand
hielt ſie ihres Mannes, und mit der andern ihres
Bruders Hand, und zitterte vor Freuden, beyde
wieder zu haben. Das erſte, was ſie nun nach
ihrer Beſtuͤrzung fragen konnte, war nach den Um-
ſtaͤnden ihres Bruders. Sie ward durch das
traurige Gemaͤlde, das er davon machte, ſehr nie-
dergeſchlagen und traurig. Doch ſuchte ſie ihm
Muth und Hoffnung einzufloͤſſen, und war in ih-

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[965/0545] liche Traͤume und Entwuͤrfe wußte er das unruhi- ge Gemuͤth ſeines Freundes etwas in Schlummer zu wiegen, ſo daß dieſer uͤber den Traͤumen ſeine Leiden groͤſtentheils vergaß, und in einer Art von ſuͤſſem Taumel fortritt, bis ſie endlich Abends in der Daͤmmerung zu Steinfeld ankamen. — Thereſe kam ihnen eine Stunde vor dem Schloß in ihrem Wagen entgegen. Sie hatte ſchon zwey Tage umſonſt auf ihren Kronhelm gewartet, und die ſchrecklichſten Beaͤngſtigungen ausgeſtanden. Sie ſprang aus dem Wagen, als ſie ihren Mann wieder ſah, und fiel faſt vor Freuden in Ohn- macht. Nach dieſem ſah ſie erſt ihren Bruder, und umarmte ihn. Der Bediente, der auf dem Wagen ſtand, mußte die beyden Pferde nach Haus bringen, und Siegwart und Kronhelm ſetzten ſich zu Thereſe in den Wagen. Mit der Einen Hand hielt ſie ihres Mannes, und mit der andern ihres Bruders Hand, und zitterte vor Freuden, beyde wieder zu haben. Das erſte, was ſie nun nach ihrer Beſtuͤrzung fragen konnte, war nach den Um- ſtaͤnden ihres Bruders. Sie ward durch das traurige Gemaͤlde, das er davon machte, ſehr nie- dergeſchlagen und traurig. Doch ſuchte ſie ihm Muth und Hoffnung einzufloͤſſen, und war in ih-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 965. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/545>, abgerufen am 24.04.2024.