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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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als die größte Feindin des Menschengeschlechts an,
und glaubte, sich nicht stark und früh genug vor ihr
verwahren zu können. Er dachte sich nur seinen
P. Anton und die andern Paters, wie ruhig und
zufrieden die in ihren Zellen lebten. Er glaubte,
die Liebe könne sich der Klostereinsamkeit nicht na-
hen, und schmachtete recht darnach, bald in diesem
sichern Hafen einzuschiffen.

Ostern rückte nun heran, an dem Kronhelm die
Schule verlassen, und nach Jngolstadt ziehen sollte.
Er wäre gern noch länger in der Nachbarschaft
Theresens geblieben, ob ihn dieses gleich nichts half,
und hatte deswegen auch an seinen Onkel in Mün-
chen
geschrieben; aber dieser fand nicht für gut, es
ihm zu erlauben; denn er hatte durch seinen Bru-
der Veit die Liebe seines Neffen erfahren. Ob er
gleich von Vorurtheilen ziemlich frey war, so konn-
te er doch Kronhelms Wahl nicht begünstigen, denn er
hielt seine Liebe für eine vorübergehende, aufbrau-
sende Leidenschaft, und kannte auch das Mädchen
gar nicht, das er gewählt hatte. Die Entfernung,
hoffte er, würde die beste Arzeney für sein krankes
Herz seyn, und ihm bald seine vorige Heiterkeit
und Ruhe wieder geben.



als die groͤßte Feindin des Menſchengeſchlechts an,
und glaubte, ſich nicht ſtark und fruͤh genug vor ihr
verwahren zu koͤnnen. Er dachte ſich nur ſeinen
P. Anton und die andern Paters, wie ruhig und
zufrieden die in ihren Zellen lebten. Er glaubte,
die Liebe koͤnne ſich der Kloſtereinſamkeit nicht na-
hen, und ſchmachtete recht darnach, bald in dieſem
ſichern Hafen einzuſchiffen.

Oſtern ruͤckte nun heran, an dem Kronhelm die
Schule verlaſſen, und nach Jngolſtadt ziehen ſollte.
Er waͤre gern noch laͤnger in der Nachbarſchaft
Thereſens geblieben, ob ihn dieſes gleich nichts half,
und hatte deswegen auch an ſeinen Onkel in Muͤn-
chen
geſchrieben; aber dieſer fand nicht fuͤr gut, es
ihm zu erlauben; denn er hatte durch ſeinen Bru-
der Veit die Liebe ſeines Neffen erfahren. Ob er
gleich von Vorurtheilen ziemlich frey war, ſo konn-
te er doch Kronhelms Wahl nicht beguͤnſtigen, denn er
hielt ſeine Liebe fuͤr eine voruͤbergehende, aufbrau-
ſende Leidenſchaft, und kannte auch das Maͤdchen
gar nicht, das er gewaͤhlt hatte. Die Entfernung,
hoffte er, wuͤrde die beſte Arzeney fuͤr ſein krankes
Herz ſeyn, und ihm bald ſeine vorige Heiterkeit
und Ruhe wieder geben.

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[471/0051] als die groͤßte Feindin des Menſchengeſchlechts an, und glaubte, ſich nicht ſtark und fruͤh genug vor ihr verwahren zu koͤnnen. Er dachte ſich nur ſeinen P. Anton und die andern Paters, wie ruhig und zufrieden die in ihren Zellen lebten. Er glaubte, die Liebe koͤnne ſich der Kloſtereinſamkeit nicht na- hen, und ſchmachtete recht darnach, bald in dieſem ſichern Hafen einzuſchiffen. Oſtern ruͤckte nun heran, an dem Kronhelm die Schule verlaſſen, und nach Jngolſtadt ziehen ſollte. Er waͤre gern noch laͤnger in der Nachbarſchaft Thereſens geblieben, ob ihn dieſes gleich nichts half, und hatte deswegen auch an ſeinen Onkel in Muͤn- chen geſchrieben; aber dieſer fand nicht fuͤr gut, es ihm zu erlauben; denn er hatte durch ſeinen Bru- der Veit die Liebe ſeines Neffen erfahren. Ob er gleich von Vorurtheilen ziemlich frey war, ſo konn- te er doch Kronhelms Wahl nicht beguͤnſtigen, denn er hielt ſeine Liebe fuͤr eine voruͤbergehende, aufbrau- ſende Leidenſchaft, und kannte auch das Maͤdchen gar nicht, das er gewaͤhlt hatte. Die Entfernung, hoffte er, wuͤrde die beſte Arzeney fuͤr ſein krankes Herz ſeyn, und ihm bald ſeine vorige Heiterkeit und Ruhe wieder geben.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/51>, abgerufen am 29.03.2024.