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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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damit schreib ich dir jetzt. Zu gutem Glück hatt
ich eben einen frischen halben Bogen angefangen. Wie
dir der Brief zukommen wird? das weiß Gott! --
Vor einer guten Stunde, als ich eben dieses ge-
schrieben hatte, kam der Bediente zu mir auf die
Kammer, und schloß hinter sich zu. Er hatte wei-
se Wäsche unter dem Arm. Jungfrau, sagte er,
und stotterte, Sie sollen sich auf morgen reißfer-
tig machen! Wenn Sies ändern können, so bitt
ich unterthänig, thun Sies doch! Es ist unten
ein schrecklicher Jammer. Die Frau Mama strei-
tet, man soll Sie nicht ins Kloster sperren; aber
sie wird überschrien. Jhre Frau Schwägerin sagt:
Sie müssen drein! Sie woll Sie selber hinbeglei-
ten! Jhr Herr Bruder sagt, was sie sagt. Konrad,
sagt ich, ich kann nicht anders. Es scheint, er
hat Mitleid mit mir. Will er mir wol eine Bit-
te erfüllen? herzlich gern! Was Sie wollen, sagte
er, und wischte sich die Augen. -- Darf ich mich
aber wol sicher auf ihn verlassen? -- Ja, bey
Gott, daß dürfen Sie! -- Da hat er etwas
Geld, ich brauchs doch nicht mehr! Nein, Jung-
frau, Geld nehm ich um alles in der Welt nicht
von Jhnen. Dann könnten Sie mir ja nicht
trauen! -- Nun, so thu ers umsonst! Gott wird



damit ſchreib ich dir jetzt. Zu gutem Gluͤck hatt
ich eben einen friſchen halben Bogen angefangen. Wie
dir der Brief zukommen wird? das weiß Gott! —
Vor einer guten Stunde, als ich eben dieſes ge-
ſchrieben hatte, kam der Bediente zu mir auf die
Kammer, und ſchloß hinter ſich zu. Er hatte wei-
ſe Waͤſche unter dem Arm. Jungfrau, ſagte er,
und ſtotterte, Sie ſollen ſich auf morgen reißfer-
tig machen! Wenn Sies aͤndern koͤnnen, ſo bitt
ich unterthaͤnig, thun Sies doch! Es iſt unten
ein ſchrecklicher Jammer. Die Frau Mama ſtrei-
tet, man ſoll Sie nicht ins Kloſter ſperren; aber
ſie wird uͤberſchrien. Jhre Frau Schwaͤgerin ſagt:
Sie muͤſſen drein! Sie woll Sie ſelber hinbeglei-
ten! Jhr Herr Bruder ſagt, was ſie ſagt. Konrad,
ſagt ich, ich kann nicht anders. Es ſcheint, er
hat Mitleid mit mir. Will er mir wol eine Bit-
te erfuͤllen? herzlich gern! Was Sie wollen, ſagte
er, und wiſchte ſich die Augen. — Darf ich mich
aber wol ſicher auf ihn verlaſſen? — Ja, bey
Gott, daß duͤrfen Sie! — Da hat er etwas
Geld, ich brauchs doch nicht mehr! Nein, Jung-
frau, Geld nehm ich um alles in der Welt nicht
von Jhnen. Dann koͤnnten Sie mir ja nicht
trauen! — Nun, ſo thu ers umſonſt! Gott wird

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[911/0491] damit ſchreib ich dir jetzt. Zu gutem Gluͤck hatt ich eben einen friſchen halben Bogen angefangen. Wie dir der Brief zukommen wird? das weiß Gott! — Vor einer guten Stunde, als ich eben dieſes ge- ſchrieben hatte, kam der Bediente zu mir auf die Kammer, und ſchloß hinter ſich zu. Er hatte wei- ſe Waͤſche unter dem Arm. Jungfrau, ſagte er, und ſtotterte, Sie ſollen ſich auf morgen reißfer- tig machen! Wenn Sies aͤndern koͤnnen, ſo bitt ich unterthaͤnig, thun Sies doch! Es iſt unten ein ſchrecklicher Jammer. Die Frau Mama ſtrei- tet, man ſoll Sie nicht ins Kloſter ſperren; aber ſie wird uͤberſchrien. Jhre Frau Schwaͤgerin ſagt: Sie muͤſſen drein! Sie woll Sie ſelber hinbeglei- ten! Jhr Herr Bruder ſagt, was ſie ſagt. Konrad, ſagt ich, ich kann nicht anders. Es ſcheint, er hat Mitleid mit mir. Will er mir wol eine Bit- te erfuͤllen? herzlich gern! Was Sie wollen, ſagte er, und wiſchte ſich die Augen. — Darf ich mich aber wol ſicher auf ihn verlaſſen? — Ja, bey Gott, daß duͤrfen Sie! — Da hat er etwas Geld, ich brauchs doch nicht mehr! Nein, Jung- frau, Geld nehm ich um alles in der Welt nicht von Jhnen. Dann koͤnnten Sie mir ja nicht trauen! — Nun, ſo thu ers umſonſt! Gott wird

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 911. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/491>, abgerufen am 20.04.2024.