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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Jch konnte dir in dieser Zwischenzeit nicht
schreiben. Alles schwand vor meinen Augen.
Zuweilen nur konnt ich einen Seufzer zu Gott
erheben. Jch hatte genug zu thun, um nicht ganz
in Muthlosigkeit herab zu sinken. Der Bediente
brachte mir das Essen, etwas Suppe, und einen
Krug mit Wasser, und schloß, ohne ein Wort
zu sprechen, die Thüre wieder hinter sich zu. Doch
sah ichs ihm wol an, daß das Herz ihm voll
war. Jch konnte fast nichts essen; aber den
Krug mit Wasser trank ich rein aus. Um 2
Uhr hohlte man mich hinunter ins Zimmer.

Mein ältrer Bruder, und meine Schwägerin
waren auch da. Sie stunden um mich herum.
Jetzt wollen wir noch einmal in Güte mit dir
reden, sagte mein Vater. Es war eine Schan-
de, daß du dich mit einem jungen Menschen ein-
liessest, von dem ich gar nicht weiß, was an ihm
ist. (Verzeih, Lieber! Jch schreibe, wie er sprach.)
Aber das wollen wir übersehn, und dir als ei-
nen Jugendfehler anrechnen. Dagegen must du
nun zweyerley versprechen: Erstlich, ihn auf ewig
zu vergessen, und zweytens, dem Hofrath Schra-
ger heute noch dein Jawort zu geben; er ist um
5 Uhr herbestellt. Willst du das? Gerad heraus



Jch konnte dir in dieſer Zwiſchenzeit nicht
ſchreiben. Alles ſchwand vor meinen Augen.
Zuweilen nur konnt ich einen Seufzer zu Gott
erheben. Jch hatte genug zu thun, um nicht ganz
in Muthloſigkeit herab zu ſinken. Der Bediente
brachte mir das Eſſen, etwas Suppe, und einen
Krug mit Waſſer, und ſchloß, ohne ein Wort
zu ſprechen, die Thuͤre wieder hinter ſich zu. Doch
ſah ichs ihm wol an, daß das Herz ihm voll
war. Jch konnte faſt nichts eſſen; aber den
Krug mit Waſſer trank ich rein aus. Um 2
Uhr hohlte man mich hinunter ins Zimmer.

Mein aͤltrer Bruder, und meine Schwaͤgerin
waren auch da. Sie ſtunden um mich herum.
Jetzt wollen wir noch einmal in Guͤte mit dir
reden, ſagte mein Vater. Es war eine Schan-
de, daß du dich mit einem jungen Menſchen ein-
lieſſeſt, von dem ich gar nicht weiß, was an ihm
iſt. (Verzeih, Lieber! Jch ſchreibe, wie er ſprach.)
Aber das wollen wir uͤberſehn, und dir als ei-
nen Jugendfehler anrechnen. Dagegen muſt du
nun zweyerley verſprechen: Erſtlich, ihn auf ewig
zu vergeſſen, und zweytens, dem Hofrath Schra-
ger heute noch dein Jawort zu geben; er iſt um
5 Uhr herbeſtellt. Willſt du das? Gerad heraus

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[907/0487] Jch konnte dir in dieſer Zwiſchenzeit nicht ſchreiben. Alles ſchwand vor meinen Augen. Zuweilen nur konnt ich einen Seufzer zu Gott erheben. Jch hatte genug zu thun, um nicht ganz in Muthloſigkeit herab zu ſinken. Der Bediente brachte mir das Eſſen, etwas Suppe, und einen Krug mit Waſſer, und ſchloß, ohne ein Wort zu ſprechen, die Thuͤre wieder hinter ſich zu. Doch ſah ichs ihm wol an, daß das Herz ihm voll war. Jch konnte faſt nichts eſſen; aber den Krug mit Waſſer trank ich rein aus. Um 2 Uhr hohlte man mich hinunter ins Zimmer. Mein aͤltrer Bruder, und meine Schwaͤgerin waren auch da. Sie ſtunden um mich herum. Jetzt wollen wir noch einmal in Guͤte mit dir reden, ſagte mein Vater. Es war eine Schan- de, daß du dich mit einem jungen Menſchen ein- lieſſeſt, von dem ich gar nicht weiß, was an ihm iſt. (Verzeih, Lieber! Jch ſchreibe, wie er ſprach.) Aber das wollen wir uͤberſehn, und dir als ei- nen Jugendfehler anrechnen. Dagegen muſt du nun zweyerley verſprechen: Erſtlich, ihn auf ewig zu vergeſſen, und zweytens, dem Hofrath Schra- ger heute noch dein Jawort zu geben; er iſt um 5 Uhr herbeſtellt. Willſt du das? Gerad heraus

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 907. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/487>, abgerufen am 16.04.2024.