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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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baum eingeschnitten. Als der Name fertig war,
und ich mich genug darüber gesreut hatte, daß
mir alles so gerathen ist, da fiel mir erst ein,
mein Vater könnte den Namen sehen, weil der
Baum dicht am Gang zur rechten Seite stand.
Jch erschrack recht, als mirs einfiel. Sollt ich
nun den schönen Namen wieder auskratzen? Das
wäre traurig. Und doch must es seyn. Aber,
Gottlob! daß ich auf den Einfall kam, ihn mit
Erde zu überkleben, die der Baumrinde ganz
gleich sah. Das will ich nun immer wieder thun,
wenn die Erde wieder abfallen will. Und wenn ich
allein bin, nehm ich sie ab, um den Namen zu
sehen. Adjeu!

Noch ein paar Worte vor Schlafengehen mit
meinem Geliebtesten! Jch schreib auf meiner Kam-
mer, weil ich unten nicht sicher bin. Diesen Abend
ist mein Vater angekommen. Er saß in einem
Wagen mit Hofrath Schrager, meinem Bruder
und meiner Schwägerin. Er sah stürmisch und
verdrüßlich aus. Die Gesellschaft blieb ungefähr
eine Stunde da. Sie war kaum weg, so fragte
er meine Mutter sehr gebieterisch: Jst nichts vor-
gefallen? -- Nein. -- Hat sich nichts mit Ma-



baum eingeſchnitten. Als der Name fertig war,
und ich mich genug daruͤber geſreut hatte, daß
mir alles ſo gerathen iſt, da fiel mir erſt ein,
mein Vater koͤnnte den Namen ſehen, weil der
Baum dicht am Gang zur rechten Seite ſtand.
Jch erſchrack recht, als mirs einfiel. Sollt ich
nun den ſchoͤnen Namen wieder auskratzen? Das
waͤre traurig. Und doch muſt es ſeyn. Aber,
Gottlob! daß ich auf den Einfall kam, ihn mit
Erde zu uͤberkleben, die der Baumrinde ganz
gleich ſah. Das will ich nun immer wieder thun,
wenn die Erde wieder abfallen will. Und wenn ich
allein bin, nehm ich ſie ab, um den Namen zu
ſehen. Adjeu!

Noch ein paar Worte vor Schlafengehen mit
meinem Geliebteſten! Jch ſchreib auf meiner Kam-
mer, weil ich unten nicht ſicher bin. Dieſen Abend
iſt mein Vater angekommen. Er ſaß in einem
Wagen mit Hofrath Schrager, meinem Bruder
und meiner Schwaͤgerin. Er ſah ſtuͤrmiſch und
verdruͤßlich aus. Die Geſellſchaft blieb ungefaͤhr
eine Stunde da. Sie war kaum weg, ſo fragte
er meine Mutter ſehr gebieteriſch: Jſt nichts vor-
gefallen? — Nein. — Hat ſich nichts mit Ma-

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[901/0481] baum eingeſchnitten. Als der Name fertig war, und ich mich genug daruͤber geſreut hatte, daß mir alles ſo gerathen iſt, da fiel mir erſt ein, mein Vater koͤnnte den Namen ſehen, weil der Baum dicht am Gang zur rechten Seite ſtand. Jch erſchrack recht, als mirs einfiel. Sollt ich nun den ſchoͤnen Namen wieder auskratzen? Das waͤre traurig. Und doch muſt es ſeyn. Aber, Gottlob! daß ich auf den Einfall kam, ihn mit Erde zu uͤberkleben, die der Baumrinde ganz gleich ſah. Das will ich nun immer wieder thun, wenn die Erde wieder abfallen will. Und wenn ich allein bin, nehm ich ſie ab, um den Namen zu ſehen. Adjeu! Den 9ten Auguſt. Noch ein paar Worte vor Schlafengehen mit meinem Geliebteſten! Jch ſchreib auf meiner Kam- mer, weil ich unten nicht ſicher bin. Dieſen Abend iſt mein Vater angekommen. Er ſaß in einem Wagen mit Hofrath Schrager, meinem Bruder und meiner Schwaͤgerin. Er ſah ſtuͤrmiſch und verdruͤßlich aus. Die Geſellſchaft blieb ungefaͤhr eine Stunde da. Sie war kaum weg, ſo fragte er meine Mutter ſehr gebieteriſch: Jſt nichts vor- gefallen? — Nein. — Hat ſich nichts mit Ma-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 901. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/481>, abgerufen am 20.04.2024.