Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



be dich gestern und heut fast jeden Schritt beglei-
tet. Gott gebe, daß du glücklich ankommst; und
daß dein Vater wieder besser sey! Jch bete viel für
ihn, und für dich. Adjeu, mein Geliebtester!
Morgen wieder ein paar Wörtchen; denn ich ha-
be viel zu thun, noch eh mein Vater kommt. Ue-
bermorgen soll er kommen. Meine Mutter kommt
alle Augenblicke auf mein Zimmer; sie hat Ge-
schäfte drauf. Drum kann ich dir nicht schreiben,
wann und wie viel ich will. Aber morgen wieder.
Adjeu indessen, mein Geliebtester!


Jch bin heut in meinem Garten gewesen. Da
hab ich viel an dich gedacht, mein Theurester! Jch
wollt, ich hätte Schreibzeug draussen gehabt, so
hätt ich viel an dich geschrieben. Aber gesprochen
hat meine Seele viel mit der deinigen. Wie wa-
ren alle Plätze mir so werth, auf denen ich ehmals
mit dir gesessen habe! Alle Worte fielen mir da ein,
die wir miteinander sprachen. Jch wurde traurig,
daß du nicht auch da warest, denn ich war allein.
Auf jede Stelle setzt ich mich, und blieb recht lan-
ge sitzen, weil mir so wohl war, da zu seyn, wo
mein Geliebtester einst gewesen war. Denk! ich
hab deinen Namen in einen glatten, jungen Birn-



be dich geſtern und heut faſt jeden Schritt beglei-
tet. Gott gebe, daß du gluͤcklich ankommſt; und
daß dein Vater wieder beſſer ſey! Jch bete viel fuͤr
ihn, und fuͤr dich. Adjeu, mein Geliebteſter!
Morgen wieder ein paar Woͤrtchen; denn ich ha-
be viel zu thun, noch eh mein Vater kommt. Ue-
bermorgen ſoll er kommen. Meine Mutter kommt
alle Augenblicke auf mein Zimmer; ſie hat Ge-
ſchaͤfte drauf. Drum kann ich dir nicht ſchreiben,
wann und wie viel ich will. Aber morgen wieder.
Adjeu indeſſen, mein Geliebteſter!


Jch bin heut in meinem Garten geweſen. Da
hab ich viel an dich gedacht, mein Theureſter! Jch
wollt, ich haͤtte Schreibzeug drauſſen gehabt, ſo
haͤtt ich viel an dich geſchrieben. Aber geſprochen
hat meine Seele viel mit der deinigen. Wie wa-
ren alle Plaͤtze mir ſo werth, auf denen ich ehmals
mit dir geſeſſen habe! Alle Worte fielen mir da ein,
die wir miteinander ſprachen. Jch wurde traurig,
daß du nicht auch da wareſt, denn ich war allein.
Auf jede Stelle ſetzt ich mich, und blieb recht lan-
ge ſitzen, weil mir ſo wohl war, da zu ſeyn, wo
mein Geliebteſter einſt geweſen war. Denk! ich
hab deinen Namen in einen glatten, jungen Birn-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <floatingText>
            <body>
              <div>
                <div n="2">
                  <p><pb facs="#f0480" n="900"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
be dich ge&#x017F;tern und heut fa&#x017F;t jeden Schritt beglei-<lb/>
tet. Gott gebe, daß du glu&#x0364;cklich ankomm&#x017F;t; und<lb/>
daß dein Vater wieder be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ey! Jch bete viel fu&#x0364;r<lb/>
ihn, und fu&#x0364;r dich. Adjeu, mein Geliebte&#x017F;ter!<lb/>
Morgen wieder ein paar Wo&#x0364;rtchen; denn ich ha-<lb/>
be viel zu thun, noch eh mein Vater kommt. Ue-<lb/>
bermorgen &#x017F;oll er kommen. Meine Mutter kommt<lb/>
alle Augenblicke auf mein Zimmer; &#x017F;ie hat Ge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fte drauf. Drum kann ich dir nicht &#x017F;chreiben,<lb/>
wann und wie viel ich will. Aber morgen wieder.<lb/>
Adjeu inde&#x017F;&#x017F;en, mein Geliebte&#x017F;ter!</p>
                </div><lb/>
                <div n="2">
                  <dateline> <hi rendition="#et">Den 8ten Augu&#x017F;t.</hi> </dateline><lb/>
                  <p>Jch bin heut in meinem Garten gewe&#x017F;en. Da<lb/>
hab ich viel an dich gedacht, mein Theure&#x017F;ter! Jch<lb/>
wollt, ich ha&#x0364;tte Schreibzeug drau&#x017F;&#x017F;en gehabt, &#x017F;o<lb/>
ha&#x0364;tt ich viel an dich ge&#x017F;chrieben. Aber ge&#x017F;prochen<lb/>
hat meine Seele viel mit der deinigen. Wie wa-<lb/>
ren alle Pla&#x0364;tze mir &#x017F;o werth, auf denen ich ehmals<lb/>
mit dir ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en habe! Alle Worte fielen mir da ein,<lb/>
die wir miteinander &#x017F;prachen. Jch wurde traurig,<lb/>
daß du nicht auch da ware&#x017F;t, denn ich war allein.<lb/>
Auf jede Stelle &#x017F;etzt ich mich, und blieb recht lan-<lb/>
ge &#x017F;itzen, weil mir &#x017F;o wohl war, da zu &#x017F;eyn, wo<lb/>
mein Geliebte&#x017F;ter ein&#x017F;t gewe&#x017F;en war. Denk! ich<lb/>
hab deinen Namen in einen glatten, jungen Birn-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[900/0480] be dich geſtern und heut faſt jeden Schritt beglei- tet. Gott gebe, daß du gluͤcklich ankommſt; und daß dein Vater wieder beſſer ſey! Jch bete viel fuͤr ihn, und fuͤr dich. Adjeu, mein Geliebteſter! Morgen wieder ein paar Woͤrtchen; denn ich ha- be viel zu thun, noch eh mein Vater kommt. Ue- bermorgen ſoll er kommen. Meine Mutter kommt alle Augenblicke auf mein Zimmer; ſie hat Ge- ſchaͤfte drauf. Drum kann ich dir nicht ſchreiben, wann und wie viel ich will. Aber morgen wieder. Adjeu indeſſen, mein Geliebteſter! Den 8ten Auguſt. Jch bin heut in meinem Garten geweſen. Da hab ich viel an dich gedacht, mein Theureſter! Jch wollt, ich haͤtte Schreibzeug drauſſen gehabt, ſo haͤtt ich viel an dich geſchrieben. Aber geſprochen hat meine Seele viel mit der deinigen. Wie wa- ren alle Plaͤtze mir ſo werth, auf denen ich ehmals mit dir geſeſſen habe! Alle Worte fielen mir da ein, die wir miteinander ſprachen. Jch wurde traurig, daß du nicht auch da wareſt, denn ich war allein. Auf jede Stelle ſetzt ich mich, und blieb recht lan- ge ſitzen, weil mir ſo wohl war, da zu ſeyn, wo mein Geliebteſter einſt geweſen war. Denk! ich hab deinen Namen in einen glatten, jungen Birn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/480
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 900. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/480>, abgerufen am 25.04.2024.