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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Endlich empfahl er sich, weil er wohl sah, daß
das Paar nicht vor ihm gehen wollte. Er
war über das, was vorgefallen war, aufs neu in
der grösten Beängstigung, und stellte sich schon
wieder tausend traurige Begegnisse in seiner Liebe
vor. Noch denselben Abend schrieb er in der hef-
tigsten Bewegung einen Brief an Marianen, wo-
rinn er ihr alle seine Besorgnisse entdeckte, und sie
um Gottes willen bat, ihm treu zu bleiben. Zu-
gleich bat er sie um Nachricht, wie er sich verhal-
ten sollte? Den andern Morgen war er sehr be-
kümmert, wie er ihr den Brief zustellen könnte?
Und endlich, als er keinen andern Weg sah, gab
er den Brief ihrem Mädchen, die er auf der
Strasse antraf, und sagte ihr, er habe diesen Brief
geschickt bekommen; sie möcht ihn ihrer Jungfrau
diesen Morgen noch, und allein geben! Nun war
er wieder etwas ruhiger.

Endlich entschloß er sich auch ernstlich, seinem
Vater zu schreiben, ihm seine Liebe zu entdecken,
und ihn um die Erlaubniß zu bitten, daß er nun
Jura studieren dürfte! Er schrieb dieses alles mit
grossen Ausholungen und Umschweifen, oft mit
vieler Rührung, und bat seinen Vater inständig,
seine Liebe nicht zu verdammen, oder für leichtsin-



Endlich empfahl er ſich, weil er wohl ſah, daß
das Paar nicht vor ihm gehen wollte. Er
war uͤber das, was vorgefallen war, aufs neu in
der groͤſten Beaͤngſtigung, und ſtellte ſich ſchon
wieder tauſend traurige Begegniſſe in ſeiner Liebe
vor. Noch denſelben Abend ſchrieb er in der hef-
tigſten Bewegung einen Brief an Marianen, wo-
rinn er ihr alle ſeine Beſorgniſſe entdeckte, und ſie
um Gottes willen bat, ihm treu zu bleiben. Zu-
gleich bat er ſie um Nachricht, wie er ſich verhal-
ten ſollte? Den andern Morgen war er ſehr be-
kuͤmmert, wie er ihr den Brief zuſtellen koͤnnte?
Und endlich, als er keinen andern Weg ſah, gab
er den Brief ihrem Maͤdchen, die er auf der
Straſſe antraf, und ſagte ihr, er habe dieſen Brief
geſchickt bekommen; ſie moͤcht ihn ihrer Jungfrau
dieſen Morgen noch, und allein geben! Nun war
er wieder etwas ruhiger.

Endlich entſchloß er ſich auch ernſtlich, ſeinem
Vater zu ſchreiben, ihm ſeine Liebe zu entdecken,
und ihn um die Erlaubniß zu bitten, daß er nun
Jura ſtudieren duͤrfte! Er ſchrieb dieſes alles mit
groſſen Ausholungen und Umſchweifen, oft mit
vieler Ruͤhrung, und bat ſeinen Vater inſtaͤndig,
ſeine Liebe nicht zu verdammen, oder fuͤr leichtſin-

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[827/0407] Endlich empfahl er ſich, weil er wohl ſah, daß das Paar nicht vor ihm gehen wollte. Er war uͤber das, was vorgefallen war, aufs neu in der groͤſten Beaͤngſtigung, und ſtellte ſich ſchon wieder tauſend traurige Begegniſſe in ſeiner Liebe vor. Noch denſelben Abend ſchrieb er in der hef- tigſten Bewegung einen Brief an Marianen, wo- rinn er ihr alle ſeine Beſorgniſſe entdeckte, und ſie um Gottes willen bat, ihm treu zu bleiben. Zu- gleich bat er ſie um Nachricht, wie er ſich verhal- ten ſollte? Den andern Morgen war er ſehr be- kuͤmmert, wie er ihr den Brief zuſtellen koͤnnte? Und endlich, als er keinen andern Weg ſah, gab er den Brief ihrem Maͤdchen, die er auf der Straſſe antraf, und ſagte ihr, er habe dieſen Brief geſchickt bekommen; ſie moͤcht ihn ihrer Jungfrau dieſen Morgen noch, und allein geben! Nun war er wieder etwas ruhiger. Endlich entſchloß er ſich auch ernſtlich, ſeinem Vater zu ſchreiben, ihm ſeine Liebe zu entdecken, und ihn um die Erlaubniß zu bitten, daß er nun Jura ſtudieren duͤrfte! Er ſchrieb dieſes alles mit groſſen Ausholungen und Umſchweifen, oft mit vieler Ruͤhrung, und bat ſeinen Vater inſtaͤndig, ſeine Liebe nicht zu verdammen, oder fuͤr leichtſin-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 827. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/407>, abgerufen am 25.04.2024.