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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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rer Bruder aus dem Hause, so daß er Josephs
Worte noch gehört haben konnte. Siegwart er-
schrack, und gieng weg. Dieser Umstand beun-
ruhigte ihn sehr, weil er fürchtete, daß er üble
Folgen für ihn und Marianen haben könnte. Doch
richtete ihn der Gedanke wieder auf, daß vielleicht
der Hofrath ihm nun günstiger seyn, und sich sei-
ner Liebe zu Marianen weniger widersetzen werde.

Den andern Morgen brachte er damit zu, daß
er sich alle Auftritte des vorigen Tages wieder ins
Gedächtniß zurückrief. Einigemal stunden ihm die
Thränen in den Augen, wenn er überdachte, wie
viel Unrecht seine Eifersucht Marianen gethan hat-
te. Er beschloß, sich vor dieser Marter seiner selbst,
und des geliebten Gegenstandes künftig recht in Acht
zu nehmen. Nun sah er aber erst, wie sehr er sei-
ne Mariane liebe; wie so ganz unzertrennlich sei-
ne Seele von der ihrigen sey. Er hatte nun auch
ihre Liebe ganz gesehen, mit welcher Sorgfalt sie
sich um ihn bekümmre; wie genau sie auf jede
Veränderung in seinen Gesichtszügen Acht gebe.
Er fühlte das Glück, ihre Liebe, und ein solches
Mädchen, zu besitzen, ganz, so daß seine Emfindun-
gen fast immer zwischen Entzücken, Andacht, und
Gebeth getheilt waren.



rer Bruder aus dem Hauſe, ſo daß er Joſephs
Worte noch gehoͤrt haben konnte. Siegwart er-
ſchrack, und gieng weg. Dieſer Umſtand beun-
ruhigte ihn ſehr, weil er fuͤrchtete, daß er uͤble
Folgen fuͤr ihn und Marianen haben koͤnnte. Doch
richtete ihn der Gedanke wieder auf, daß vielleicht
der Hofrath ihm nun guͤnſtiger ſeyn, und ſich ſei-
ner Liebe zu Marianen weniger widerſetzen werde.

Den andern Morgen brachte er damit zu, daß
er ſich alle Auftritte des vorigen Tages wieder ins
Gedaͤchtniß zuruͤckrief. Einigemal ſtunden ihm die
Thraͤnen in den Augen, wenn er uͤberdachte, wie
viel Unrecht ſeine Eiferſucht Marianen gethan hat-
te. Er beſchloß, ſich vor dieſer Marter ſeiner ſelbſt,
und des geliebten Gegenſtandes kuͤnftig recht in Acht
zu nehmen. Nun ſah er aber erſt, wie ſehr er ſei-
ne Mariane liebe; wie ſo ganz unzertrennlich ſei-
ne Seele von der ihrigen ſey. Er hatte nun auch
ihre Liebe ganz geſehen, mit welcher Sorgfalt ſie
ſich um ihn bekuͤmmre; wie genau ſie auf jede
Veraͤnderung in ſeinen Geſichtszuͤgen Acht gebe.
Er fuͤhlte das Gluͤck, ihre Liebe, und ein ſolches
Maͤdchen, zu beſitzen, ganz, ſo daß ſeine Emfindun-
gen faſt immer zwiſchen Entzuͤcken, Andacht, und
Gebeth getheilt waren.

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[822/0402] rer Bruder aus dem Hauſe, ſo daß er Joſephs Worte noch gehoͤrt haben konnte. Siegwart er- ſchrack, und gieng weg. Dieſer Umſtand beun- ruhigte ihn ſehr, weil er fuͤrchtete, daß er uͤble Folgen fuͤr ihn und Marianen haben koͤnnte. Doch richtete ihn der Gedanke wieder auf, daß vielleicht der Hofrath ihm nun guͤnſtiger ſeyn, und ſich ſei- ner Liebe zu Marianen weniger widerſetzen werde. Den andern Morgen brachte er damit zu, daß er ſich alle Auftritte des vorigen Tages wieder ins Gedaͤchtniß zuruͤckrief. Einigemal ſtunden ihm die Thraͤnen in den Augen, wenn er uͤberdachte, wie viel Unrecht ſeine Eiferſucht Marianen gethan hat- te. Er beſchloß, ſich vor dieſer Marter ſeiner ſelbſt, und des geliebten Gegenſtandes kuͤnftig recht in Acht zu nehmen. Nun ſah er aber erſt, wie ſehr er ſei- ne Mariane liebe; wie ſo ganz unzertrennlich ſei- ne Seele von der ihrigen ſey. Er hatte nun auch ihre Liebe ganz geſehen, mit welcher Sorgfalt ſie ſich um ihn bekuͤmmre; wie genau ſie auf jede Veraͤnderung in ſeinen Geſichtszuͤgen Acht gebe. Er fuͤhlte das Gluͤck, ihre Liebe, und ein ſolches Maͤdchen, zu beſitzen, ganz, ſo daß ſeine Emfindun- gen faſt immer zwiſchen Entzuͤcken, Andacht, und Gebeth getheilt waren.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 822. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/402>, abgerufen am 25.04.2024.