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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Betrunknen weg. Siegwart hatte sich nur etwas
an dem Finger geritzt, und blutete. Joseph, der
nun erst sah, wer sein Retter gewesen war, sank
ihm in den Arm, und dankte ihm mit hundert
Küssen. Mariane und ihre Eltern waren indeß
auch hinzugesprungen; sie ward todtblaß, als sie
Blut sah; er beruhigte sie aber gleich, indem er
zeigte, daß er nur geritzt wäre. Sie sprang in
ihrer Angst weg, um ein Stückchen Tafft zum
Verband zu holen. Der Hofrath umarmte in-
deß unsern Siegwart, und dankte ihm für die
Rettung seines Sohns. Die Hofräthin weinte,
und nannte ihn den Retter ihres Josephs, ihren
zweyten Sohn. Jndeß kam Mariane wieder, die
sich nun von ihrer ersten Bestürzung erholt hatte,
und verband ihm selbst den Finger. Als Siegwart
weggieng, begleitete ihn Joseph noch bis auf die
Strasse, umarmte ihn noch einmal, und sagte:
Bruder, sag, was kann ich dir für diesen Dienst
thun? Nichts! antwortete Siegwart in der Ruh-
rung; als daß du mein wahrer Bruder bleibest,
und mir deiner Schwester Liebe gönnest! -- O
das will ich! o das will ich! rief Joseph aus, ja
du sollst Sie haben! Wenns auf mich ankäme, wär
sie heute dein! -- Jndem kam Marianens älte-



Betrunknen weg. Siegwart hatte ſich nur etwas
an dem Finger geritzt, und blutete. Joſeph, der
nun erſt ſah, wer ſein Retter geweſen war, ſank
ihm in den Arm, und dankte ihm mit hundert
Kuͤſſen. Mariane und ihre Eltern waren indeß
auch hinzugeſprungen; ſie ward todtblaß, als ſie
Blut ſah; er beruhigte ſie aber gleich, indem er
zeigte, daß er nur geritzt waͤre. Sie ſprang in
ihrer Angſt weg, um ein Stuͤckchen Tafft zum
Verband zu holen. Der Hofrath umarmte in-
deß unſern Siegwart, und dankte ihm fuͤr die
Rettung ſeines Sohns. Die Hofraͤthin weinte,
und nannte ihn den Retter ihres Joſephs, ihren
zweyten Sohn. Jndeß kam Mariane wieder, die
ſich nun von ihrer erſten Beſtuͤrzung erholt hatte,
und verband ihm ſelbſt den Finger. Als Siegwart
weggieng, begleitete ihn Joſeph noch bis auf die
Straſſe, umarmte ihn noch einmal, und ſagte:
Bruder, ſag, was kann ich dir fuͤr dieſen Dienſt
thun? Nichts! antwortete Siegwart in der Ruh-
rung; als daß du mein wahrer Bruder bleibeſt,
und mir deiner Schweſter Liebe goͤnneſt! — O
das will ich! o das will ich! rief Joſeph aus, ja
du ſollſt Sie haben! Wenns auf mich ankaͤme, waͤr
ſie heute dein! — Jndem kam Marianens aͤlte-

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[821/0401] Betrunknen weg. Siegwart hatte ſich nur etwas an dem Finger geritzt, und blutete. Joſeph, der nun erſt ſah, wer ſein Retter geweſen war, ſank ihm in den Arm, und dankte ihm mit hundert Kuͤſſen. Mariane und ihre Eltern waren indeß auch hinzugeſprungen; ſie ward todtblaß, als ſie Blut ſah; er beruhigte ſie aber gleich, indem er zeigte, daß er nur geritzt waͤre. Sie ſprang in ihrer Angſt weg, um ein Stuͤckchen Tafft zum Verband zu holen. Der Hofrath umarmte in- deß unſern Siegwart, und dankte ihm fuͤr die Rettung ſeines Sohns. Die Hofraͤthin weinte, und nannte ihn den Retter ihres Joſephs, ihren zweyten Sohn. Jndeß kam Mariane wieder, die ſich nun von ihrer erſten Beſtuͤrzung erholt hatte, und verband ihm ſelbſt den Finger. Als Siegwart weggieng, begleitete ihn Joſeph noch bis auf die Straſſe, umarmte ihn noch einmal, und ſagte: Bruder, ſag, was kann ich dir fuͤr dieſen Dienſt thun? Nichts! antwortete Siegwart in der Ruh- rung; als daß du mein wahrer Bruder bleibeſt, und mir deiner Schweſter Liebe goͤnneſt! — O das will ich! o das will ich! rief Joſeph aus, ja du ſollſt Sie haben! Wenns auf mich ankaͤme, waͤr ſie heute dein! — Jndem kam Marianens aͤlte-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 821. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/401>, abgerufen am 20.04.2024.