Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



dünn; alles nur umsonst. Endlich ritt ich nach
drey Tagen recht betrübt, mochte nichts essen und nichts
trinken, in Gottes Namen wieder heim. Da war
nun der Lärm erst recht angegangen. Der alte
Herr war abgesegelt. Es soll entsetzlich anzusehn
gewesen seyn, wie er geschimpft, dann wieder ge-
bethet, dann geflucht hat, besonders auf meinen
unschuldigen jungen Herrn. Die Augen soll er im
Kopfe herum gedreht haben, wie ein Uhu. Er
war ganz blau im Gesicht, und die Zung hieng ihm
aus dem Mund heraus, sechs Zoll lang, daß alle
Menschen im Dorf sagten, der Böse -- Gott sey
uns gnädig -- hab ihn abgeholt. -- Ja, wie ich
eben sah, daß da nichts zu machen war; denn oh-
ne meinen Herrn mocht ich gar nicht leben -- und
daß alles drunter und drüber gieng -- jeder packte
ein, und die saubre Jungfer Kunigund am mei-
sten -- da nahm ich eben in Gottes Namen mei-
nen Bündel auf den Rücken. Jch hätt einen Gaul
aus dem Stall mit nehmen können, daß kein Hahn
darnach gekräht hätt -- aber ich bedanke mich da-
für! Unrecht Gut g'räth nie gut! und ehrlich will
ich bleiben, es mag gehn wie's will! Da gieng ich
eben auf gut Glück überzwerch ins Land hinein,
und dachte: ich will meinen Herrn schon finden,



duͤnn; alles nur umſonſt. Endlich ritt ich nach
drey Tagen recht betruͤbt, mochte nichts eſſen und nichts
trinken, in Gottes Namen wieder heim. Da war
nun der Laͤrm erſt recht angegangen. Der alte
Herr war abgeſegelt. Es ſoll entſetzlich anzuſehn
geweſen ſeyn, wie er geſchimpft, dann wieder ge-
bethet, dann geflucht hat, beſonders auf meinen
unſchuldigen jungen Herrn. Die Augen ſoll er im
Kopfe herum gedreht haben, wie ein Uhu. Er
war ganz blau im Geſicht, und die Zung hieng ihm
aus dem Mund heraus, ſechs Zoll lang, daß alle
Menſchen im Dorf ſagten, der Boͤſe — Gott ſey
uns gnaͤdig — hab ihn abgeholt. — Ja, wie ich
eben ſah, daß da nichts zu machen war; denn oh-
ne meinen Herrn mocht ich gar nicht leben — und
daß alles drunter und druͤber gieng — jeder packte
ein, und die ſaubre Jungfer Kunigund am mei-
ſten — da nahm ich eben in Gottes Namen mei-
nen Buͤndel auf den Ruͤcken. Jch haͤtt einen Gaul
aus dem Stall mit nehmen koͤnnen, daß kein Hahn
darnach gekraͤht haͤtt — aber ich bedanke mich da-
fuͤr! Unrecht Gut g’raͤth nie gut! und ehrlich will
ich bleiben, es mag gehn wie’s will! Da gieng ich
eben auf gut Gluͤck uͤberzwerch ins Land hinein,
und dachte: ich will meinen Herrn ſchon finden,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0382" n="802"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
du&#x0364;nn; alles nur um&#x017F;on&#x017F;t. Endlich ritt ich nach<lb/>
drey Tagen recht betru&#x0364;bt, mochte nichts e&#x017F;&#x017F;en und nichts<lb/>
trinken, in Gottes Namen wieder heim. Da war<lb/>
nun der La&#x0364;rm er&#x017F;t recht angegangen. Der alte<lb/>
Herr war abge&#x017F;egelt. Es &#x017F;oll ent&#x017F;etzlich anzu&#x017F;ehn<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, wie er ge&#x017F;chimpft, dann wieder ge-<lb/>
bethet, dann geflucht hat, be&#x017F;onders auf meinen<lb/>
un&#x017F;chuldigen jungen Herrn. Die Augen &#x017F;oll er im<lb/>
Kopfe herum gedreht haben, wie ein Uhu. Er<lb/>
war ganz blau im Ge&#x017F;icht, und die Zung hieng ihm<lb/>
aus dem Mund heraus, &#x017F;echs Zoll lang, daß alle<lb/>
Men&#x017F;chen im Dorf &#x017F;agten, der Bo&#x0364;&#x017F;e &#x2014; Gott &#x017F;ey<lb/>
uns gna&#x0364;dig &#x2014; hab ihn abgeholt. &#x2014; Ja, wie ich<lb/>
eben &#x017F;ah, daß da nichts zu machen war; denn oh-<lb/>
ne meinen Herrn mocht ich gar nicht leben &#x2014; und<lb/>
daß alles drunter und dru&#x0364;ber gieng &#x2014; jeder packte<lb/>
ein, und die &#x017F;aubre Jungfer Kunigund am mei-<lb/>
&#x017F;ten &#x2014; da nahm ich eben in Gottes Namen mei-<lb/>
nen Bu&#x0364;ndel auf den Ru&#x0364;cken. Jch ha&#x0364;tt einen Gaul<lb/>
aus dem Stall mit nehmen ko&#x0364;nnen, daß kein Hahn<lb/>
darnach gekra&#x0364;ht ha&#x0364;tt &#x2014; aber ich bedanke mich da-<lb/>
fu&#x0364;r! Unrecht Gut g&#x2019;ra&#x0364;th nie gut! und ehrlich will<lb/>
ich bleiben, es mag gehn wie&#x2019;s will! Da gieng ich<lb/>
eben auf gut Glu&#x0364;ck u&#x0364;berzwerch ins Land hinein,<lb/>
und dachte: ich will meinen Herrn &#x017F;chon finden,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[802/0382] duͤnn; alles nur umſonſt. Endlich ritt ich nach drey Tagen recht betruͤbt, mochte nichts eſſen und nichts trinken, in Gottes Namen wieder heim. Da war nun der Laͤrm erſt recht angegangen. Der alte Herr war abgeſegelt. Es ſoll entſetzlich anzuſehn geweſen ſeyn, wie er geſchimpft, dann wieder ge- bethet, dann geflucht hat, beſonders auf meinen unſchuldigen jungen Herrn. Die Augen ſoll er im Kopfe herum gedreht haben, wie ein Uhu. Er war ganz blau im Geſicht, und die Zung hieng ihm aus dem Mund heraus, ſechs Zoll lang, daß alle Menſchen im Dorf ſagten, der Boͤſe — Gott ſey uns gnaͤdig — hab ihn abgeholt. — Ja, wie ich eben ſah, daß da nichts zu machen war; denn oh- ne meinen Herrn mocht ich gar nicht leben — und daß alles drunter und druͤber gieng — jeder packte ein, und die ſaubre Jungfer Kunigund am mei- ſten — da nahm ich eben in Gottes Namen mei- nen Buͤndel auf den Ruͤcken. Jch haͤtt einen Gaul aus dem Stall mit nehmen koͤnnen, daß kein Hahn darnach gekraͤht haͤtt — aber ich bedanke mich da- fuͤr! Unrecht Gut g’raͤth nie gut! und ehrlich will ich bleiben, es mag gehn wie’s will! Da gieng ich eben auf gut Gluͤck uͤberzwerch ins Land hinein, und dachte: ich will meinen Herrn ſchon finden,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/382
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 802. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/382>, abgerufen am 25.04.2024.