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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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sonst vergeh ich. Bleiben Sie mir treu! Mit
diesen Worten gieng er, und lief auf einer andern
Seite weit ins Feld hinaus. Seine Seele war in
der fürchterlichsten Arbeit. Alles, was sagen konn-
te, war:

Verflucht seyst du, betrügerische Liebe!
Von dir allein stammt unser Elend her!

Erst in der späten Dämmerung kam er zu-
rück. Sein Herz war jetzt wehmüthiger geworden,
und sein Schmerz goß sich in Thränen aus. Eine
Stunde lang blieb er ohne Licht auf seinem Zim-
mer, gieng schnell auf und ab, rang die Hände,
faltete sie zuweilen, und betete. Endlich schrieb er
mit der heftigsten Bewegung, und mit tausend
Thränen dieses Gedicht nieder:

Jm dunkeln Thale stand ich, und jammerte;
Der Seele bange Leiden umwölkten mich;
Verkannter Liebe Schmerzen hiengen
Fürchterlich über mein mattes Haupt her!
Da brach ein Glanz aus Wolken, da schimmerte
Vor mir der Hügel; siehe, da standest du,
O Hofnung, hell im Sonnenstrale,
Winktest mir armen Verlaßnen freundlich.



ſonſt vergeh ich. Bleiben Sie mir treu! Mit
dieſen Worten gieng er, und lief auf einer andern
Seite weit ins Feld hinaus. Seine Seele war in
der fuͤrchterlichſten Arbeit. Alles, was ſagen konn-
te, war:

Verflucht ſeyſt du, betruͤgeriſche Liebe!
Von dir allein ſtammt unſer Elend her!

Erſt in der ſpaͤten Daͤmmerung kam er zu-
ruͤck. Sein Herz war jetzt wehmuͤthiger geworden,
und ſein Schmerz goß ſich in Thraͤnen aus. Eine
Stunde lang blieb er ohne Licht auf ſeinem Zim-
mer, gieng ſchnell auf und ab, rang die Haͤnde,
faltete ſie zuweilen, und betete. Endlich ſchrieb er
mit der heftigſten Bewegung, und mit tauſend
Thraͤnen dieſes Gedicht nieder:

Jm dunkeln Thale ſtand ich, und jammerte;
Der Seele bange Leiden umwoͤlkten mich;
Verkannter Liebe Schmerzen hiengen
Fuͤrchterlich uͤber mein mattes Haupt her!
Da brach ein Glanz aus Wolken, da ſchimmerte
Vor mir der Huͤgel; ſiehe, da ſtandeſt du,
O Hofnung, hell im Sonnenſtrale,
Winkteſt mir armen Verlaßnen freundlich.

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[788/0368] ſonſt vergeh ich. Bleiben Sie mir treu! Mit dieſen Worten gieng er, und lief auf einer andern Seite weit ins Feld hinaus. Seine Seele war in der fuͤrchterlichſten Arbeit. Alles, was ſagen konn- te, war: Verflucht ſeyſt du, betruͤgeriſche Liebe! Von dir allein ſtammt unſer Elend her! Erſt in der ſpaͤten Daͤmmerung kam er zu- ruͤck. Sein Herz war jetzt wehmuͤthiger geworden, und ſein Schmerz goß ſich in Thraͤnen aus. Eine Stunde lang blieb er ohne Licht auf ſeinem Zim- mer, gieng ſchnell auf und ab, rang die Haͤnde, faltete ſie zuweilen, und betete. Endlich ſchrieb er mit der heftigſten Bewegung, und mit tauſend Thraͤnen dieſes Gedicht nieder: Jm dunkeln Thale ſtand ich, und jammerte; Der Seele bange Leiden umwoͤlkten mich; Verkannter Liebe Schmerzen hiengen Fuͤrchterlich uͤber mein mattes Haupt her! Da brach ein Glanz aus Wolken, da ſchimmerte Vor mir der Huͤgel; ſiehe, da ſtandeſt du, O Hofnung, hell im Sonnenſtrale, Winkteſt mir armen Verlaßnen freundlich.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 788. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/368>, abgerufen am 18.04.2024.