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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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schon oft im Konzert gesehn, und singen gehört
hatte. Sie sprach mit ihm von der Musik, und
lobte sein Spiel, und seine Stimme.

Nach einiger Zeit gieng sie von selbst in den
Garten hinunter, und ließ unsre Liebenden allein.
Siegwart sah Marianen traurig an, und wagte
kaum, eine Frage an sie zu thun. Sie fragte erst
noch nach einigen Umständen von Kronhelms und
Theresens Schicksal, und sagte dann: Auch uns,
lieber Siegwart, droht ein Unglück. Unsre Liebe
ist so heimlich nicht mehr, als ich glaubte. Meine
Schwägerin weis davon, und vor ihr war ich immer
am meisten bange. Jch muß Jhnen nur gestehen;
meine Mutter hat mit mir drüber gesprochen. Jch
gestund ihr alles. Sie ist an sich nicht unzufrie-
den mit unsrer Liebe, aber sie sagt, daß sie voller
Angst sey, wenn mein Vater es erfahre, und das
werde durch unsre Schwägerin nur gar zu bald ge-
schehen. Jch bedaure dich, meine Tochter, sagte sie.
Jch habe eure Liebe lange schon gemerkt, und heim-
lichen Gram im Herzen drob getragen. Jch weis
nicht, wie dein Vater von Siegwart denkt, aber
du kennst ihn, daß man sich in nichts, ohne sein
Vorwissen, einlassen soll; und ich kann dirs nicht
verbergen, er hat Absichten mit dem Hofrath Schra-



ſchon oft im Konzert geſehn, und ſingen gehoͤrt
hatte. Sie ſprach mit ihm von der Muſik, und
lobte ſein Spiel, und ſeine Stimme.

Nach einiger Zeit gieng ſie von ſelbſt in den
Garten hinunter, und ließ unſre Liebenden allein.
Siegwart ſah Marianen traurig an, und wagte
kaum, eine Frage an ſie zu thun. Sie fragte erſt
noch nach einigen Umſtaͤnden von Kronhelms und
Thereſens Schickſal, und ſagte dann: Auch uns,
lieber Siegwart, droht ein Ungluͤck. Unſre Liebe
iſt ſo heimlich nicht mehr, als ich glaubte. Meine
Schwaͤgerin weis davon, und vor ihr war ich immer
am meiſten bange. Jch muß Jhnen nur geſtehen;
meine Mutter hat mit mir druͤber geſprochen. Jch
geſtund ihr alles. Sie iſt an ſich nicht unzufrie-
den mit unſrer Liebe, aber ſie ſagt, daß ſie voller
Angſt ſey, wenn mein Vater es erfahre, und das
werde durch unſre Schwaͤgerin nur gar zu bald ge-
ſchehen. Jch bedaure dich, meine Tochter, ſagte ſie.
Jch habe eure Liebe lange ſchon gemerkt, und heim-
lichen Gram im Herzen drob getragen. Jch weis
nicht, wie dein Vater von Siegwart denkt, aber
du kennſt ihn, daß man ſich in nichts, ohne ſein
Vorwiſſen, einlaſſen ſoll; und ich kann dirs nicht
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[785/0365] ſchon oft im Konzert geſehn, und ſingen gehoͤrt hatte. Sie ſprach mit ihm von der Muſik, und lobte ſein Spiel, und ſeine Stimme. Nach einiger Zeit gieng ſie von ſelbſt in den Garten hinunter, und ließ unſre Liebenden allein. Siegwart ſah Marianen traurig an, und wagte kaum, eine Frage an ſie zu thun. Sie fragte erſt noch nach einigen Umſtaͤnden von Kronhelms und Thereſens Schickſal, und ſagte dann: Auch uns, lieber Siegwart, droht ein Ungluͤck. Unſre Liebe iſt ſo heimlich nicht mehr, als ich glaubte. Meine Schwaͤgerin weis davon, und vor ihr war ich immer am meiſten bange. Jch muß Jhnen nur geſtehen; meine Mutter hat mit mir druͤber geſprochen. Jch geſtund ihr alles. Sie iſt an ſich nicht unzufrie- den mit unſrer Liebe, aber ſie ſagt, daß ſie voller Angſt ſey, wenn mein Vater es erfahre, und das werde durch unſre Schwaͤgerin nur gar zu bald ge- ſchehen. Jch bedaure dich, meine Tochter, ſagte ſie. Jch habe eure Liebe lange ſchon gemerkt, und heim- lichen Gram im Herzen drob getragen. Jch weis nicht, wie dein Vater von Siegwart denkt, aber du kennſt ihn, daß man ſich in nichts, ohne ſein Vorwiſſen, einlaſſen ſoll; und ich kann dirs nicht verbergen, er hat Abſichten mit dem Hofrath Schra-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 785. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/365>, abgerufen am 29.03.2024.