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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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hen Hoffnung lassen sollte? Er wartete, da es heu-
te Posttag war, mit Sehnsucht auf Briefe; lief
selbst ein paarmal auf die Post, aber es war nichts
für ihn da.

Der sehnlich erwünschte Nachmittag kam. Ma-
riane gieng um drey Uhr allein aus dem Haus.
Eine halbe Stunde drauf gieng er mit bangem
Zittern, und ängstlicher Erwartung, bey einem an-
dern Thor hinaus ihrem Garten zu. Wie er-
schrack er, als der Garten und das Häuschen drinn
noch zugeschlossen war! Mit banger Ahndung gieng
er in das, nah daran stossende Wäldchen, und warf
sich unter einer Eiche nieder. Alle Blumen um
ihn her, und alles Gras riß er mit der Wurzel
aus; die Vögel, die im Gebüsche zwitscherten, ver-
scheuchte er; sprang wieder auf, drängte sich
durchs dichteste Gebüsch durch, und machte sich
dann, seiner Ungeduld wegen, selbst wieder Vor-
würfe. Endlich gieng er wieder an den Garten;
Mariane sah aus dem Häuschen, und sprang her-
ab, ihm die Thüre aufzumachen. Jch kam spät,
sagte sie, ich muste eine Freundin mit nehmen, es
war nicht zu ändern. Wir können aber doch al-
lein reden. Sie weis schon davon. -- Jhre
Freundin war ein Frauenzimmer, das Siegwart



hen Hoffnung laſſen ſollte? Er wartete, da es heu-
te Poſttag war, mit Sehnſucht auf Briefe; lief
ſelbſt ein paarmal auf die Poſt, aber es war nichts
fuͤr ihn da.

Der ſehnlich erwuͤnſchte Nachmittag kam. Ma-
riane gieng um drey Uhr allein aus dem Haus.
Eine halbe Stunde drauf gieng er mit bangem
Zittern, und aͤngſtlicher Erwartung, bey einem an-
dern Thor hinaus ihrem Garten zu. Wie er-
ſchrack er, als der Garten und das Haͤuschen drinn
noch zugeſchloſſen war! Mit banger Ahndung gieng
er in das, nah daran ſtoſſende Waͤldchen, und warf
ſich unter einer Eiche nieder. Alle Blumen um
ihn her, und alles Gras riß er mit der Wurzel
aus; die Voͤgel, die im Gebuͤſche zwitſcherten, ver-
ſcheuchte er; ſprang wieder auf, draͤngte ſich
durchs dichteſte Gebuͤſch durch, und machte ſich
dann, ſeiner Ungeduld wegen, ſelbſt wieder Vor-
wuͤrfe. Endlich gieng er wieder an den Garten;
Mariane ſah aus dem Haͤuschen, und ſprang her-
ab, ihm die Thuͤre aufzumachen. Jch kam ſpaͤt,
ſagte ſie, ich muſte eine Freundin mit nehmen, es
war nicht zu aͤndern. Wir koͤnnen aber doch al-
lein reden. Sie weis ſchon davon. — Jhre
Freundin war ein Frauenzimmer, das Siegwart

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[784/0364] hen Hoffnung laſſen ſollte? Er wartete, da es heu- te Poſttag war, mit Sehnſucht auf Briefe; lief ſelbſt ein paarmal auf die Poſt, aber es war nichts fuͤr ihn da. Der ſehnlich erwuͤnſchte Nachmittag kam. Ma- riane gieng um drey Uhr allein aus dem Haus. Eine halbe Stunde drauf gieng er mit bangem Zittern, und aͤngſtlicher Erwartung, bey einem an- dern Thor hinaus ihrem Garten zu. Wie er- ſchrack er, als der Garten und das Haͤuschen drinn noch zugeſchloſſen war! Mit banger Ahndung gieng er in das, nah daran ſtoſſende Waͤldchen, und warf ſich unter einer Eiche nieder. Alle Blumen um ihn her, und alles Gras riß er mit der Wurzel aus; die Voͤgel, die im Gebuͤſche zwitſcherten, ver- ſcheuchte er; ſprang wieder auf, draͤngte ſich durchs dichteſte Gebuͤſch durch, und machte ſich dann, ſeiner Ungeduld wegen, ſelbſt wieder Vor- wuͤrfe. Endlich gieng er wieder an den Garten; Mariane ſah aus dem Haͤuschen, und ſprang her- ab, ihm die Thuͤre aufzumachen. Jch kam ſpaͤt, ſagte ſie, ich muſte eine Freundin mit nehmen, es war nicht zu aͤndern. Wir koͤnnen aber doch al- lein reden. Sie weis ſchon davon. — Jhre Freundin war ein Frauenzimmer, das Siegwart

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 784. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/364>, abgerufen am 20.04.2024.