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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Die tiefe Traurigkeit, die drinn saß, schien ihm
eine ewige Trennung anzukündigen. Er konnte
sich nicht länger halten, sprang auf, drückte seinen
Siegwart fest ans Herz, und rief: Bruder,
Bruder, was wird aus uns werden! Unserm
Siegwart stürzten die Thränen aus den Augen;
er konnte nichts sprechen, und schloß seinen Freund
noch fester ans Herz. -- Wir werden gar zu
traurig, sagte er endlich; laß uns etwas anders
sprechen, oder uns ein wenig ausgehen.

Jch kann zu keinem Menschen gehen! sagte
Kronhelm; ich weis nicht, wie mir ist? Jch
bin für alle Gesellschaft unbrauchbar. Das ist ein
erschrecklicher Zustand! Jch seh nichts vor mir,
als Trennung und Elend. Jndem ward an die
Thüre geklopft, und Dahlmund kam. Jch konnte
heut nicht genug mit dir reden, Kronhelm! sagte
er, weil jemand bey mir war. Dir und Siegwart
hab ichs zu verdanken, daß ich von der Weissin
los bin, und mit ihrem liederlichen Kerl mich nicht
geschlagen habe. Heut ist er durchgegangen, und
hat ein paar hundert Gulden Schulden hinterlas-
sen. Kürzlich hat er noch beym Kaufmann etliche
Ellen Stoff zu einem Kleid ausgenommen, und
ihr verehrt. Nun will der Kaufmann von ihr



Die tiefe Traurigkeit, die drinn ſaß, ſchien ihm
eine ewige Trennung anzukuͤndigen. Er konnte
ſich nicht laͤnger halten, ſprang auf, druͤckte ſeinen
Siegwart feſt ans Herz, und rief: Bruder,
Bruder, was wird aus uns werden! Unſerm
Siegwart ſtuͤrzten die Thraͤnen aus den Augen;
er konnte nichts ſprechen, und ſchloß ſeinen Freund
noch feſter ans Herz. — Wir werden gar zu
traurig, ſagte er endlich; laß uns etwas anders
ſprechen, oder uns ein wenig ausgehen.

Jch kann zu keinem Menſchen gehen! ſagte
Kronhelm; ich weis nicht, wie mir iſt? Jch
bin fuͤr alle Geſellſchaft unbrauchbar. Das iſt ein
erſchrecklicher Zuſtand! Jch ſeh nichts vor mir,
als Trennung und Elend. Jndem ward an die
Thuͤre geklopft, und Dahlmund kam. Jch konnte
heut nicht genug mit dir reden, Kronhelm! ſagte
er, weil jemand bey mir war. Dir und Siegwart
hab ichs zu verdanken, daß ich von der Weiſſin
los bin, und mit ihrem liederlichen Kerl mich nicht
geſchlagen habe. Heut iſt er durchgegangen, und
hat ein paar hundert Gulden Schulden hinterlaſ-
ſen. Kuͤrzlich hat er noch beym Kaufmann etliche
Ellen Stoff zu einem Kleid ausgenommen, und
ihr verehrt. Nun will der Kaufmann von ihr

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[746/0326] Die tiefe Traurigkeit, die drinn ſaß, ſchien ihm eine ewige Trennung anzukuͤndigen. Er konnte ſich nicht laͤnger halten, ſprang auf, druͤckte ſeinen Siegwart feſt ans Herz, und rief: Bruder, Bruder, was wird aus uns werden! Unſerm Siegwart ſtuͤrzten die Thraͤnen aus den Augen; er konnte nichts ſprechen, und ſchloß ſeinen Freund noch feſter ans Herz. — Wir werden gar zu traurig, ſagte er endlich; laß uns etwas anders ſprechen, oder uns ein wenig ausgehen. Jch kann zu keinem Menſchen gehen! ſagte Kronhelm; ich weis nicht, wie mir iſt? Jch bin fuͤr alle Geſellſchaft unbrauchbar. Das iſt ein erſchrecklicher Zuſtand! Jch ſeh nichts vor mir, als Trennung und Elend. Jndem ward an die Thuͤre geklopft, und Dahlmund kam. Jch konnte heut nicht genug mit dir reden, Kronhelm! ſagte er, weil jemand bey mir war. Dir und Siegwart hab ichs zu verdanken, daß ich von der Weiſſin los bin, und mit ihrem liederlichen Kerl mich nicht geſchlagen habe. Heut iſt er durchgegangen, und hat ein paar hundert Gulden Schulden hinterlaſ- ſen. Kuͤrzlich hat er noch beym Kaufmann etliche Ellen Stoff zu einem Kleid ausgenommen, und ihr verehrt. Nun will der Kaufmann von ihr

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 746. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/326>, abgerufen am 29.03.2024.