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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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übel nehmen. Er sah vorher, daß | er doch nicht
würde reden können, wenn die Sache so vorberei-
tet wäre, und dann wollte er auch allen Schein ei-
ner heimlichen Zusammenkunft vermeiden, woge-
gen sein zartes Gefühl stritt. Oft dachte er, er
woll' ihr schreiben, aber wie sollte er ihr den
Brief beybringen?

Kurz, alle seine Entwürfe zerfielen wieder von
selbst, bis ihm endlich ein Ungefähr -- das Beste
in der Liebe -- seinen heissen Wunsch erfüllte.
Wider alles Vermuthen, selbst wider seine Hoff-
nung -- und ein Liebender hofft doch gewiß nicht
wenig -- fiel, noch kurz vor Ostern, ein sehr tie-
fer Schnee, und zween Tage drauf ward eine
Schlittenfahrt angestellt, bey welcher Siegwart
Marianen fuhr.

Nun sprach er schon mehr, und that minder
schüchtern. Er und Mariane theilten ihre Freude
mit einander über die unvermuthete Gelegenheit, ei-
nen Abend mit einander zuzubringen. Sie gestand
ihm frey, es hätt' ihr nichts angenehmers begegnen
können, und sah ihm dabey mit einem unaussprech-
lichzärtlichen Lächeln ins Gesicht. Er beugte sich
auf dem Schlitten vorwärts, um ihr einen Kuß zu
geben, und sie hielt willig still. Es ist sehr schön,



uͤbel nehmen. Er ſah vorher, daß | er doch nicht
wuͤrde reden koͤnnen, wenn die Sache ſo vorberei-
tet waͤre, und dann wollte er auch allen Schein ei-
ner heimlichen Zuſammenkunft vermeiden, woge-
gen ſein zartes Gefuͤhl ſtritt. Oft dachte er, er
woll’ ihr ſchreiben, aber wie ſollte er ihr den
Brief beybringen?

Kurz, alle ſeine Entwuͤrfe zerfielen wieder von
ſelbſt, bis ihm endlich ein Ungefaͤhr — das Beſte
in der Liebe — ſeinen heiſſen Wunſch erfuͤllte.
Wider alles Vermuthen, ſelbſt wider ſeine Hoff-
nung — und ein Liebender hofft doch gewiß nicht
wenig — fiel, noch kurz vor Oſtern, ein ſehr tie-
fer Schnee, und zween Tage drauf ward eine
Schlittenfahrt angeſtellt, bey welcher Siegwart
Marianen fuhr.

Nun ſprach er ſchon mehr, und that minder
ſchuͤchtern. Er und Mariane theilten ihre Freude
mit einander uͤber die unvermuthete Gelegenheit, ei-
nen Abend mit einander zuzubringen. Sie geſtand
ihm frey, es haͤtt’ ihr nichts angenehmers begegnen
koͤnnen, und ſah ihm dabey mit einem unausſprech-
lichzaͤrtlichen Laͤcheln ins Geſicht. Er beugte ſich
auf dem Schlitten vorwaͤrts, um ihr einen Kuß zu
geben, und ſie hielt willig ſtill. Es iſt ſehr ſchoͤn,

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[690/0270] uͤbel nehmen. Er ſah vorher, daß | er doch nicht wuͤrde reden koͤnnen, wenn die Sache ſo vorberei- tet waͤre, und dann wollte er auch allen Schein ei- ner heimlichen Zuſammenkunft vermeiden, woge- gen ſein zartes Gefuͤhl ſtritt. Oft dachte er, er woll’ ihr ſchreiben, aber wie ſollte er ihr den Brief beybringen? Kurz, alle ſeine Entwuͤrfe zerfielen wieder von ſelbſt, bis ihm endlich ein Ungefaͤhr — das Beſte in der Liebe — ſeinen heiſſen Wunſch erfuͤllte. Wider alles Vermuthen, ſelbſt wider ſeine Hoff- nung — und ein Liebender hofft doch gewiß nicht wenig — fiel, noch kurz vor Oſtern, ein ſehr tie- fer Schnee, und zween Tage drauf ward eine Schlittenfahrt angeſtellt, bey welcher Siegwart Marianen fuhr. Nun ſprach er ſchon mehr, und that minder ſchuͤchtern. Er und Mariane theilten ihre Freude mit einander uͤber die unvermuthete Gelegenheit, ei- nen Abend mit einander zuzubringen. Sie geſtand ihm frey, es haͤtt’ ihr nichts angenehmers begegnen koͤnnen, und ſah ihm dabey mit einem unausſprech- lichzaͤrtlichen Laͤcheln ins Geſicht. Er beugte ſich auf dem Schlitten vorwaͤrts, um ihr einen Kuß zu geben, und ſie hielt willig ſtill. Es iſt ſehr ſchoͤn,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/270>, abgerufen am 29.03.2024.