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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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her eine ansehnliche Summe Gelds, und seine be-
sten Kostbarkeiten mitgenommen hatte. -- So
gehts mit den Huren, sagte Kronhelm.

Kronhelm und Siegwart legten sich Abends
bald zu Bette, weil sie die vorige Nacht wenig,
oder nichts geschlafen hatten. Den folgenden Abend
sprach Mariane im Konzert viel mit Siegwart,
und bestärkte ihn, durch ihr gefälliges Betragen,
immer mehr in der Hofnung, daß sie ihn liebe.
Er schwamm jetzt immer in einem Meer von Won-
ne; nur zuweilen unterbrach ihn ein Anfall von
Wehmuth in seiner Freude. Es stiegen ihm oft
wieder Zweifel auf, ob sie ihn auch wirklich liebe?
Vor einiger Zeit wäre ein Blick, wie sie ihm jetzt
viele gab, sein gröster Wunsch, und der höchste
Grad von Glückseligkeit für ihn gewesen; aber
jetzt verlangte sein Herz schon mehr; er wollte nun
thätige und mündliche Versicherungen von ihrer
Liebe haben. Sie weis vielleicht noch nicht, dach-
te er, wie sehr ich sie liebe. Wie leicht könnte ein
andrer kommen, der mehr Kühnheit, und viel-
leicht auch grössere Ansprüche hat, als ich, und den
kleinen Funken von Liebe auslöschen, der vielleicht
für mich in ihrem Herzen glimmt. Bey ihren
Vorzügen kann es ihr nicht lang an Freyern feh-



her eine anſehnliche Summe Gelds, und ſeine be-
ſten Koſtbarkeiten mitgenommen hatte. — So
gehts mit den Huren, ſagte Kronhelm.

Kronhelm und Siegwart legten ſich Abends
bald zu Bette, weil ſie die vorige Nacht wenig,
oder nichts geſchlafen hatten. Den folgenden Abend
ſprach Mariane im Konzert viel mit Siegwart,
und beſtaͤrkte ihn, durch ihr gefaͤlliges Betragen,
immer mehr in der Hofnung, daß ſie ihn liebe.
Er ſchwamm jetzt immer in einem Meer von Won-
ne; nur zuweilen unterbrach ihn ein Anfall von
Wehmuth in ſeiner Freude. Es ſtiegen ihm oft
wieder Zweifel auf, ob ſie ihn auch wirklich liebe?
Vor einiger Zeit waͤre ein Blick, wie ſie ihm jetzt
viele gab, ſein groͤſter Wunſch, und der hoͤchſte
Grad von Gluͤckſeligkeit fuͤr ihn geweſen; aber
jetzt verlangte ſein Herz ſchon mehr; er wollte nun
thaͤtige und muͤndliche Verſicherungen von ihrer
Liebe haben. Sie weis vielleicht noch nicht, dach-
te er, wie ſehr ich ſie liebe. Wie leicht koͤnnte ein
andrer kommen, der mehr Kuͤhnheit, und viel-
leicht auch groͤſſere Anſpruͤche hat, als ich, und den
kleinen Funken von Liebe ausloͤſchen, der vielleicht
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Vorzuͤgen kann es ihr nicht lang an Freyern feh-

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[683/0263] her eine anſehnliche Summe Gelds, und ſeine be- ſten Koſtbarkeiten mitgenommen hatte. — So gehts mit den Huren, ſagte Kronhelm. Kronhelm und Siegwart legten ſich Abends bald zu Bette, weil ſie die vorige Nacht wenig, oder nichts geſchlafen hatten. Den folgenden Abend ſprach Mariane im Konzert viel mit Siegwart, und beſtaͤrkte ihn, durch ihr gefaͤlliges Betragen, immer mehr in der Hofnung, daß ſie ihn liebe. Er ſchwamm jetzt immer in einem Meer von Won- ne; nur zuweilen unterbrach ihn ein Anfall von Wehmuth in ſeiner Freude. Es ſtiegen ihm oft wieder Zweifel auf, ob ſie ihn auch wirklich liebe? Vor einiger Zeit waͤre ein Blick, wie ſie ihm jetzt viele gab, ſein groͤſter Wunſch, und der hoͤchſte Grad von Gluͤckſeligkeit fuͤr ihn geweſen; aber jetzt verlangte ſein Herz ſchon mehr; er wollte nun thaͤtige und muͤndliche Verſicherungen von ihrer Liebe haben. Sie weis vielleicht noch nicht, dach- te er, wie ſehr ich ſie liebe. Wie leicht koͤnnte ein andrer kommen, der mehr Kuͤhnheit, und viel- leicht auch groͤſſere Anſpruͤche hat, als ich, und den kleinen Funken von Liebe ausloͤſchen, der vielleicht fuͤr mich in ihrem Herzen glimmt. Bey ihren Vorzuͤgen kann es ihr nicht lang an Freyern feh-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/263>, abgerufen am 29.03.2024.