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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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er tief auf, oder klagte sich selber, wegen seines
Betragens gegen ihn, an. Jch vermuthete, sagte
er, daß ihn etwas anders auf der Universität zu-
rückhielte, so wie mirs ehemals gieng. Wenn
man schlechte Streiche macht, so vermuthet man
sie bey andern auch. An eine so heilige und keu-
sche Liebe, wie die gegen Marianen war, dacht'
ich gar nicht. War denn gar keine Hofnung da,
daß ihn das Mädchen wieder lieben werde? --
Wenig, oder keine; antwortete Kronhelm. Eben
jetzt sagte mir Boling, sie werd' einen hiesigen Assessor
heyrathen. -- Siegwart wurde über diese Nach-
richt plötzlich blaß, und lief weg. Zu Haus sank
er in einen Stuhl, blieb eine Stunde lang so
sitzen, seufzte, weinte; und verwünschte sein Ge-
schick.

Den andern Tag wurde Gutfried begraben.
Der Vater gieng stumm hinter dem Sarge drein.
Es folgten die Freunde seines Sohnes; alle voll
tiefen Grams. Siegwart war am meisten bewegt.
Der Gedanke an den Verlust eines solchen Freun-
des, und der Gedanke an sein eignes trübes Schick-
sal zerfloß in seiner Seele in einen einzigen, und
lag schwer auf ihm. Stumm und starr sah er auf
den Sarg ins Grab hinab; bittre Thränen flossen



er tief auf, oder klagte ſich ſelber, wegen ſeines
Betragens gegen ihn, an. Jch vermuthete, ſagte
er, daß ihn etwas anders auf der Univerſitaͤt zu-
ruͤckhielte, ſo wie mirs ehemals gieng. Wenn
man ſchlechte Streiche macht, ſo vermuthet man
ſie bey andern auch. An eine ſo heilige und keu-
ſche Liebe, wie die gegen Marianen war, dacht’
ich gar nicht. War denn gar keine Hofnung da,
daß ihn das Maͤdchen wieder lieben werde? —
Wenig, oder keine; antwortete Kronhelm. Eben
jetzt ſagte mir Boling, ſie werd’ einen hieſigen Aſſeſſor
heyrathen. — Siegwart wurde uͤber dieſe Nach-
richt ploͤtzlich blaß, und lief weg. Zu Haus ſank
er in einen Stuhl, blieb eine Stunde lang ſo
ſitzen, ſeufzte, weinte; und verwuͤnſchte ſein Ge-
ſchick.

Den andern Tag wurde Gutfried begraben.
Der Vater gieng ſtumm hinter dem Sarge drein.
Es folgten die Freunde ſeines Sohnes; alle voll
tiefen Grams. Siegwart war am meiſten bewegt.
Der Gedanke an den Verluſt eines ſolchen Freun-
des, und der Gedanke an ſein eignes truͤbes Schick-
ſal zerfloß in ſeiner Seele in einen einzigen, und
lag ſchwer auf ihm. Stumm und ſtarr ſah er auf
den Sarg ins Grab hinab; bittre Thraͤnen floſſen

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[648/0228] er tief auf, oder klagte ſich ſelber, wegen ſeines Betragens gegen ihn, an. Jch vermuthete, ſagte er, daß ihn etwas anders auf der Univerſitaͤt zu- ruͤckhielte, ſo wie mirs ehemals gieng. Wenn man ſchlechte Streiche macht, ſo vermuthet man ſie bey andern auch. An eine ſo heilige und keu- ſche Liebe, wie die gegen Marianen war, dacht’ ich gar nicht. War denn gar keine Hofnung da, daß ihn das Maͤdchen wieder lieben werde? — Wenig, oder keine; antwortete Kronhelm. Eben jetzt ſagte mir Boling, ſie werd’ einen hieſigen Aſſeſſor heyrathen. — Siegwart wurde uͤber dieſe Nach- richt ploͤtzlich blaß, und lief weg. Zu Haus ſank er in einen Stuhl, blieb eine Stunde lang ſo ſitzen, ſeufzte, weinte; und verwuͤnſchte ſein Ge- ſchick. Den andern Tag wurde Gutfried begraben. Der Vater gieng ſtumm hinter dem Sarge drein. Es folgten die Freunde ſeines Sohnes; alle voll tiefen Grams. Siegwart war am meiſten bewegt. Der Gedanke an den Verluſt eines ſolchen Freun- des, und der Gedanke an ſein eignes truͤbes Schick- ſal zerfloß in ſeiner Seele in einen einzigen, und lag ſchwer auf ihm. Stumm und ſtarr ſah er auf den Sarg ins Grab hinab; bittre Thraͤnen floſſen

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/228>, abgerufen am 25.04.2024.