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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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tes willen nicht! -- Ach, daß du so früh gestor-
ben bist! Die Hure soll mirs büssen! -- Siehst
wie deine Mutter aus, als sie gestorben war! --
Hat er mich gesegnet, Herr? Mein Weib hats
auch gethan! Aber kann beym Ehebruch auch Se-
gen wohnen? -- Daß du mich gesegnet hast, das
hat dich deine Mutter wohl gelehrt; wenn sie mit
dir weinte in der Kammer. -- Nun sprang er
auf: Aber, lieben Herren, sagts der Welt nicht!
Jch will selber meine Schande aufdecken! -- Lie-
ber Karl! Jch kann dich nicht mehr ansehn. Es
ist gar zu fürchterlich! --

Jndem kam der Arzt herein mit Boling. Der
Vater gieng in einen Winkel, sah beständig starr
auf einen Platz, und schwieg, solang der Arzt da
war. -- Nachher sagte er zu Kronhelm: Lassen
Sie meinen Karl begraben! Jch kann nichts
thun.

Kronhelm machte Anstalten, daß sein Freund
in zwey Tagen begraben wurde. Der Vater verschloß
sich gröstentheils auf dem Zimmer seines Sohnes,
und ließ sich nur von Siegwart und von Kron-
helm sprechen. Sie musten ihm seine ganze Ge-
schichte erzählen. Er hörte stillschweigend, und mit
niedergeschlagnen Augen zu. Nur zuweilen seufzte



tes willen nicht! — Ach, daß du ſo fruͤh geſtor-
ben biſt! Die Hure ſoll mirs buͤſſen! — Siehſt
wie deine Mutter aus, als ſie geſtorben war! —
Hat er mich geſegnet, Herr? Mein Weib hats
auch gethan! Aber kann beym Ehebruch auch Se-
gen wohnen? — Daß du mich geſegnet haſt, das
hat dich deine Mutter wohl gelehrt; wenn ſie mit
dir weinte in der Kammer. — Nun ſprang er
auf: Aber, lieben Herren, ſagts der Welt nicht!
Jch will ſelber meine Schande aufdecken! — Lie-
ber Karl! Jch kann dich nicht mehr anſehn. Es
iſt gar zu fuͤrchterlich! —

Jndem kam der Arzt herein mit Boling. Der
Vater gieng in einen Winkel, ſah beſtaͤndig ſtarr
auf einen Platz, und ſchwieg, ſolang der Arzt da
war. — Nachher ſagte er zu Kronhelm: Laſſen
Sie meinen Karl begraben! Jch kann nichts
thun.

Kronhelm machte Anſtalten, daß ſein Freund
in zwey Tagen begraben wurde. Der Vater verſchloß
ſich groͤſtentheils auf dem Zimmer ſeines Sohnes,
und ließ ſich nur von Siegwart und von Kron-
helm ſprechen. Sie muſten ihm ſeine ganze Ge-
ſchichte erzaͤhlen. Er hoͤrte ſtillſchweigend, und mit
niedergeſchlagnen Augen zu. Nur zuweilen ſeufzte

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[647/0227] tes willen nicht! — Ach, daß du ſo fruͤh geſtor- ben biſt! Die Hure ſoll mirs buͤſſen! — Siehſt wie deine Mutter aus, als ſie geſtorben war! — Hat er mich geſegnet, Herr? Mein Weib hats auch gethan! Aber kann beym Ehebruch auch Se- gen wohnen? — Daß du mich geſegnet haſt, das hat dich deine Mutter wohl gelehrt; wenn ſie mit dir weinte in der Kammer. — Nun ſprang er auf: Aber, lieben Herren, ſagts der Welt nicht! Jch will ſelber meine Schande aufdecken! — Lie- ber Karl! Jch kann dich nicht mehr anſehn. Es iſt gar zu fuͤrchterlich! — Jndem kam der Arzt herein mit Boling. Der Vater gieng in einen Winkel, ſah beſtaͤndig ſtarr auf einen Platz, und ſchwieg, ſolang der Arzt da war. — Nachher ſagte er zu Kronhelm: Laſſen Sie meinen Karl begraben! Jch kann nichts thun. Kronhelm machte Anſtalten, daß ſein Freund in zwey Tagen begraben wurde. Der Vater verſchloß ſich groͤſtentheils auf dem Zimmer ſeines Sohnes, und ließ ſich nur von Siegwart und von Kron- helm ſprechen. Sie muſten ihm ſeine ganze Ge- ſchichte erzaͤhlen. Er hoͤrte ſtillſchweigend, und mit niedergeſchlagnen Augen zu. Nur zuweilen ſeufzte

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/227>, abgerufen am 25.04.2024.