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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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ders, als er glaubte. Am Sonntag drauf gieng
Kronhelm mit ihm in die Kirche. Auch das kam
ihm verdächtig vor. Aber Mariane kam dießmal
nicht. Halb war ihms lieb, halb schmerzlich. Den
Montag drauf ward eine Schlittenfahrt angestellt,
und nach dieser ein Ball. Kronhelm sagte zu Sieg-
wart: Du must auch mit machen, Xaver. Wenn
du willst, so will ich bey des Regierungsraths, Os-
walds Tochter für dich anhalten. Sie ist eine
Freundin von Marianen. Jch muß die Fischerin
fahren; ich hab ihrs schon im Herbst zugesagt. --
Ein neuer Donnerschlag für den liebekranken, schon
halb eifersüchtigen Siegwart. Nun ward ers ganz.
Nichts war im Stande, ihn zu überreden, die
Schlittenfahrt mitzumachen. Kronhelm drang lang
in ihn, aber endlich ließ er nach. Die Schlitten
fuhren bey seinem Haus vorbey. Er sah hinaus.
Kronhelm lachte freundlich zu ihm herauf. Ma-
riane sah auch herauf, und grüste freundlich. Aber
dießmal rührte ihn ihr Gruß nicht; er schlug das
Fenster zu, zog sich an, und lief aufs Feld hin-
aus. Hier irrte er lang im hohen Schnee herum;
zeichnete mit seinem Stock ihren Namen in den
Schnee, zernichtete ihn wieder, und sprach viel
mit sich selber. Er war halb erfroren, eh ers



ders, als er glaubte. Am Sonntag drauf gieng
Kronhelm mit ihm in die Kirche. Auch das kam
ihm verdaͤchtig vor. Aber Mariane kam dießmal
nicht. Halb war ihms lieb, halb ſchmerzlich. Den
Montag drauf ward eine Schlittenfahrt angeſtellt,
und nach dieſer ein Ball. Kronhelm ſagte zu Sieg-
wart: Du muſt auch mit machen, Xaver. Wenn
du willſt, ſo will ich bey des Regierungsraths, Os-
walds Tochter fuͤr dich anhalten. Sie iſt eine
Freundin von Marianen. Jch muß die Fiſcherin
fahren; ich hab ihrs ſchon im Herbſt zugeſagt. —
Ein neuer Donnerſchlag fuͤr den liebekranken, ſchon
halb eiferſuͤchtigen Siegwart. Nun ward ers ganz.
Nichts war im Stande, ihn zu uͤberreden, die
Schlittenfahrt mitzumachen. Kronhelm drang lang
in ihn, aber endlich ließ er nach. Die Schlitten
fuhren bey ſeinem Haus vorbey. Er ſah hinaus.
Kronhelm lachte freundlich zu ihm herauf. Ma-
riane ſah auch herauf, und gruͤſte freundlich. Aber
dießmal ruͤhrte ihn ihr Gruß nicht; er ſchlug das
Fenſter zu, zog ſich an, und lief aufs Feld hin-
aus. Hier irrte er lang im hohen Schnee herum;
zeichnete mit ſeinem Stock ihren Namen in den
Schnee, zernichtete ihn wieder, und ſprach viel
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[616/0196] ders, als er glaubte. Am Sonntag drauf gieng Kronhelm mit ihm in die Kirche. Auch das kam ihm verdaͤchtig vor. Aber Mariane kam dießmal nicht. Halb war ihms lieb, halb ſchmerzlich. Den Montag drauf ward eine Schlittenfahrt angeſtellt, und nach dieſer ein Ball. Kronhelm ſagte zu Sieg- wart: Du muſt auch mit machen, Xaver. Wenn du willſt, ſo will ich bey des Regierungsraths, Os- walds Tochter fuͤr dich anhalten. Sie iſt eine Freundin von Marianen. Jch muß die Fiſcherin fahren; ich hab ihrs ſchon im Herbſt zugeſagt. — Ein neuer Donnerſchlag fuͤr den liebekranken, ſchon halb eiferſuͤchtigen Siegwart. Nun ward ers ganz. Nichts war im Stande, ihn zu uͤberreden, die Schlittenfahrt mitzumachen. Kronhelm drang lang in ihn, aber endlich ließ er nach. Die Schlitten fuhren bey ſeinem Haus vorbey. Er ſah hinaus. Kronhelm lachte freundlich zu ihm herauf. Ma- riane ſah auch herauf, und gruͤſte freundlich. Aber dießmal ruͤhrte ihn ihr Gruß nicht; er ſchlug das Fenſter zu, zog ſich an, und lief aufs Feld hin- aus. Hier irrte er lang im hohen Schnee herum; zeichnete mit ſeinem Stock ihren Namen in den Schnee, zernichtete ihn wieder, und ſprach viel mit ſich ſelber. Er war halb erfroren, eh ers

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/196>, abgerufen am 25.04.2024.