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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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der unsre Jünglinge ziemlich lustig und offenherzig
machte. Siegwarts erhitzte Einbildungskraft brach-
te ihn mit der grösten Lebhaftigkeit zu seiner Ma-
riane. Die Thränen standen ihm oft in den Au-
gen. Als Gutfried anfieng, mit Enthusiasmus sie
zu loben, muste er weggehn, um seine Bewegung
zu verbergen. Er legte sich ins Fenster, und über-
sah die Donau, die im hellen Mondschein dahin-
rollte. Das mannigfaltige Spiel der Wellen, die
da, wo sie auf den Kieseln hüpften, lauter goldne
Sternchen bildeten, erhitzte seine Einbildungskraft,
und brachte tausenderley Vorstellungen hervor, die
sich alle auf Marianen bezogen. Kronhelm kam zu
ihm; schlang seinen Arm um seinen Arm, sah weh-
müthig mit ihm hinaus, und küste ihn ein paarmal
mit nassen und bethränten Wangen. Siegwarts
Zähren flossen auch. Ach Bruder, sagte Kronhelm,
weist, an wen ich denke? -- Was mag jetzt un-
sre Therese machen? Denkt sie wohl jetzt auch an
dich und mich? -- Ja, sie denkt noch oft an dich,
sagte Siegwart; sie kann dich nicht vergessen! Du
bist ihr zu tief ins Herz gegraben. Jch hoffe, daß
du noch mit ihr glücklich werden wirst. Trage
nur Geduld! Ohne Hofnung und Geduld müsten

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der unſre Juͤnglinge ziemlich luſtig und offenherzig
machte. Siegwarts erhitzte Einbildungskraft brach-
te ihn mit der groͤſten Lebhaftigkeit zu ſeiner Ma-
riane. Die Thraͤnen ſtanden ihm oft in den Au-
gen. Als Gutfried anfieng, mit Enthuſiasmus ſie
zu loben, muſte er weggehn, um ſeine Bewegung
zu verbergen. Er legte ſich ins Fenſter, und uͤber-
ſah die Donau, die im hellen Mondſchein dahin-
rollte. Das mannigfaltige Spiel der Wellen, die
da, wo ſie auf den Kieſeln huͤpften, lauter goldne
Sternchen bildeten, erhitzte ſeine Einbildungskraft,
und brachte tauſenderley Vorſtellungen hervor, die
ſich alle auf Marianen bezogen. Kronhelm kam zu
ihm; ſchlang ſeinen Arm um ſeinen Arm, ſah weh-
muͤthig mit ihm hinaus, und kuͤſte ihn ein paarmal
mit naſſen und bethraͤnten Wangen. Siegwarts
Zaͤhren floſſen auch. Ach Bruder, ſagte Kronhelm,
weiſt, an wen ich denke? — Was mag jetzt un-
ſre Thereſe machen? Denkt ſie wohl jetzt auch an
dich und mich? — Ja, ſie denkt noch oft an dich,
ſagte Siegwart; ſie kann dich nicht vergeſſen! Du
biſt ihr zu tief ins Herz gegraben. Jch hoffe, daß
du noch mit ihr gluͤcklich werden wirſt. Trage
nur Geduld! Ohne Hofnung und Geduld muͤſten

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[601/0181] der unſre Juͤnglinge ziemlich luſtig und offenherzig machte. Siegwarts erhitzte Einbildungskraft brach- te ihn mit der groͤſten Lebhaftigkeit zu ſeiner Ma- riane. Die Thraͤnen ſtanden ihm oft in den Au- gen. Als Gutfried anfieng, mit Enthuſiasmus ſie zu loben, muſte er weggehn, um ſeine Bewegung zu verbergen. Er legte ſich ins Fenſter, und uͤber- ſah die Donau, die im hellen Mondſchein dahin- rollte. Das mannigfaltige Spiel der Wellen, die da, wo ſie auf den Kieſeln huͤpften, lauter goldne Sternchen bildeten, erhitzte ſeine Einbildungskraft, und brachte tauſenderley Vorſtellungen hervor, die ſich alle auf Marianen bezogen. Kronhelm kam zu ihm; ſchlang ſeinen Arm um ſeinen Arm, ſah weh- muͤthig mit ihm hinaus, und kuͤſte ihn ein paarmal mit naſſen und bethraͤnten Wangen. Siegwarts Zaͤhren floſſen auch. Ach Bruder, ſagte Kronhelm, weiſt, an wen ich denke? — Was mag jetzt un- ſre Thereſe machen? Denkt ſie wohl jetzt auch an dich und mich? — Ja, ſie denkt noch oft an dich, ſagte Siegwart; ſie kann dich nicht vergeſſen! Du biſt ihr zu tief ins Herz gegraben. Jch hoffe, daß du noch mit ihr gluͤcklich werden wirſt. Trage nur Geduld! Ohne Hofnung und Geduld muͤſten Q q

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 601. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/181>, abgerufen am 29.03.2024.