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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Wenn ich ihm gelegentlich worinn dienen kann,
so komm er wieder zu mir! Er kann auch seinen
Vater von mir grüssen, wenn er an ihn schreibt.
Siegwart bückte sich, und nahm seinen Abschied.
Der Hofrath gieng bis an die Thüre mit, und
klingelte dem Bedienten, der ihn die Treppe hinab
begleitete. Voll Unmuths gieng nun Siegwart zu
Hause, und schimpfte unterwegs bey sich selbst auf den
kalten Weltton, und das stolze, veränderliche,
menschliche Herz. Der kriegt mich gewiß nicht
wieder! sagte er zu Kronhelm; das ist ein rechter
Hofmann. Hätt ich das gewust, er hätte weder
mich, noch den Brief gesehen! Meinem Vater
darf ich das nicht schreiben, der würde sich zu
sehr drüber ärgern. O Kronhelm, wenn ich denke,
daß einer von uns einmal so werden könnte, ich
möchte toll werden! -- Wie kannst du auch so
was denken? sagte Kronhelm, Hast du aber seine
Tochter nicht gesehen? -- Nein! antwortete
Siegwart halb unwillig; was willst du nur im-
mer mit seiner Tochter? Jch mag sie gar nicht
sehen! --

Nach ein paar Tagen ward in dem Haus ein
Zimmer leer, das Siegwart sogleich miethete und
bezog, ob er gleich seine meiste Zeit auf Kronhelms



Wenn ich ihm gelegentlich worinn dienen kann,
ſo komm er wieder zu mir! Er kann auch ſeinen
Vater von mir gruͤſſen, wenn er an ihn ſchreibt.
Siegwart buͤckte ſich, und nahm ſeinen Abſchied.
Der Hofrath gieng bis an die Thuͤre mit, und
klingelte dem Bedienten, der ihn die Treppe hinab
begleitete. Voll Unmuths gieng nun Siegwart zu
Hauſe, und ſchimpfte unterwegs bey ſich ſelbſt auf den
kalten Weltton, und das ſtolze, veraͤnderliche,
menſchliche Herz. Der kriegt mich gewiß nicht
wieder! ſagte er zu Kronhelm; das iſt ein rechter
Hofmann. Haͤtt ich das gewuſt, er haͤtte weder
mich, noch den Brief geſehen! Meinem Vater
darf ich das nicht ſchreiben, der wuͤrde ſich zu
ſehr druͤber aͤrgern. O Kronhelm, wenn ich denke,
daß einer von uns einmal ſo werden koͤnnte, ich
moͤchte toll werden! — Wie kannſt du auch ſo
was denken? ſagte Kronhelm, Haſt du aber ſeine
Tochter nicht geſehen? — Nein! antwortete
Siegwart halb unwillig; was willſt du nur im-
mer mit ſeiner Tochter? Jch mag ſie gar nicht
ſehen! —

Nach ein paar Tagen ward in dem Haus ein
Zimmer leer, das Siegwart ſogleich miethete und
bezog, ob er gleich ſeine meiſte Zeit auf Kronhelms

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[559/0139] Wenn ich ihm gelegentlich worinn dienen kann, ſo komm er wieder zu mir! Er kann auch ſeinen Vater von mir gruͤſſen, wenn er an ihn ſchreibt. Siegwart buͤckte ſich, und nahm ſeinen Abſchied. Der Hofrath gieng bis an die Thuͤre mit, und klingelte dem Bedienten, der ihn die Treppe hinab begleitete. Voll Unmuths gieng nun Siegwart zu Hauſe, und ſchimpfte unterwegs bey ſich ſelbſt auf den kalten Weltton, und das ſtolze, veraͤnderliche, menſchliche Herz. Der kriegt mich gewiß nicht wieder! ſagte er zu Kronhelm; das iſt ein rechter Hofmann. Haͤtt ich das gewuſt, er haͤtte weder mich, noch den Brief geſehen! Meinem Vater darf ich das nicht ſchreiben, der wuͤrde ſich zu ſehr druͤber aͤrgern. O Kronhelm, wenn ich denke, daß einer von uns einmal ſo werden koͤnnte, ich moͤchte toll werden! — Wie kannſt du auch ſo was denken? ſagte Kronhelm, Haſt du aber ſeine Tochter nicht geſehen? — Nein! antwortete Siegwart halb unwillig; was willſt du nur im- mer mit ſeiner Tochter? Jch mag ſie gar nicht ſehen! — Nach ein paar Tagen ward in dem Haus ein Zimmer leer, das Siegwart ſogleich miethete und bezog, ob er gleich ſeine meiſte Zeit auf Kronhelms

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/139>, abgerufen am 23.04.2024.