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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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sungen hat er, bis man ihn aufs Rad legte. Jch
stand nah dabey, dort auf dem Hügel, und hab
alles recht mit angesehen. Das war ein Teufels-
kerl! Aber er hat auch sein Lebtag nichts ge-
than, als gesoffen und gespielt, und mit Menschern
ganze Nächte zugebracht. Jch hab ihm oft gesagt:
Hans, so wirst dus nicht weit bringen. -- Das
ist mir doch ganz unbegreiflich, sagte der Kapuzi-
ner, wie ein Mensch die Bosheit so weit treiben,
und sich vom Teufel so verblenden lassen kann!
Jch würds nicht glauben, wenns der Schwager
da nicht selbst sagte. Daß man einem etwas
nimmt, wenn man sich nicht mehr zu helfen weis,
und Hungers sterben müste, das läst sich wohl noch
denken, obs gleich auch grausig ist; aber wie man
einen umbringt, das geht über meinen Verstand
hinaus. -- Ueber meinen auch, sagte Siegwart;
ich hätte nie geglaubt, daß es so verdorbne Men-
schen gibt. -- Wohl euch, edle, unschuldsvolle
Seelen, denen das Laster unbegreiflich, und der
Gang einer boshaften Seele unerforschlich ist!
Möchtet ihr immer bey eurer unwissenden Einfalt
bleiben!

Der Kapuziner unterhielt sich noch viel mit
Siegwart, und erzählte ihm von seiner eigenen



ſungen hat er, bis man ihn aufs Rad legte. Jch
ſtand nah dabey, dort auf dem Huͤgel, und hab
alles recht mit angeſehen. Das war ein Teufels-
kerl! Aber er hat auch ſein Lebtag nichts ge-
than, als geſoffen und geſpielt, und mit Menſchern
ganze Naͤchte zugebracht. Jch hab ihm oft geſagt:
Hans, ſo wirſt dus nicht weit bringen. — Das
iſt mir doch ganz unbegreiflich, ſagte der Kapuzi-
ner, wie ein Menſch die Bosheit ſo weit treiben,
und ſich vom Teufel ſo verblenden laſſen kann!
Jch wuͤrds nicht glauben, wenns der Schwager
da nicht ſelbſt ſagte. Daß man einem etwas
nimmt, wenn man ſich nicht mehr zu helfen weis,
und Hungers ſterben muͤſte, das laͤſt ſich wohl noch
denken, obs gleich auch grauſig iſt; aber wie man
einen umbringt, das geht uͤber meinen Verſtand
hinaus. — Ueber meinen auch, ſagte Siegwart;
ich haͤtte nie geglaubt, daß es ſo verdorbne Men-
ſchen gibt. — Wohl euch, edle, unſchuldsvolle
Seelen, denen das Laſter unbegreiflich, und der
Gang einer boshaften Seele unerforſchlich iſt!
Moͤchtet ihr immer bey eurer unwiſſenden Einfalt
bleiben!

Der Kapuziner unterhielt ſich noch viel mit
Siegwart, und erzaͤhlte ihm von ſeiner eigenen

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[552/0132] ſungen hat er, bis man ihn aufs Rad legte. Jch ſtand nah dabey, dort auf dem Huͤgel, und hab alles recht mit angeſehen. Das war ein Teufels- kerl! Aber er hat auch ſein Lebtag nichts ge- than, als geſoffen und geſpielt, und mit Menſchern ganze Naͤchte zugebracht. Jch hab ihm oft geſagt: Hans, ſo wirſt dus nicht weit bringen. — Das iſt mir doch ganz unbegreiflich, ſagte der Kapuzi- ner, wie ein Menſch die Bosheit ſo weit treiben, und ſich vom Teufel ſo verblenden laſſen kann! Jch wuͤrds nicht glauben, wenns der Schwager da nicht ſelbſt ſagte. Daß man einem etwas nimmt, wenn man ſich nicht mehr zu helfen weis, und Hungers ſterben muͤſte, das laͤſt ſich wohl noch denken, obs gleich auch grauſig iſt; aber wie man einen umbringt, das geht uͤber meinen Verſtand hinaus. — Ueber meinen auch, ſagte Siegwart; ich haͤtte nie geglaubt, daß es ſo verdorbne Men- ſchen gibt. — Wohl euch, edle, unſchuldsvolle Seelen, denen das Laſter unbegreiflich, und der Gang einer boshaften Seele unerforſchlich iſt! Moͤchtet ihr immer bey eurer unwiſſenden Einfalt bleiben! Der Kapuziner unterhielt ſich noch viel mit Siegwart, und erzaͤhlte ihm von ſeiner eigenen

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/132>, abgerufen am 20.04.2024.