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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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nachdachte, fand er nichts, daß er sich vorzuwer-
fen hätte, und beruhigte sich von dieser Seite. Doch
beschäftigte sich seine Seele lange mit den traurig-
sten Gedanken. Das Bild der leidenden Sophie
begleitete ihn aller Orten hin, und erschien ihm
manche Nacht im Traum. Er bekam aufs neue
die stärkste Abneigung vor der Liebe, die so vieles
Unglück auf der Welt anrichtet. Er vermied sorg-
fältig, viel in Grünbachs Haus zu gehen, weil
ihn da alles, besonders die schwarze Kleidung ih-
rer Eltern, zu lebhaft an Sophien erinnerte. Die
Mutter wollte wissen, was das Packet ihrer Toch-
ter an ihn enthalten habe? Er kam über die Fra-
ge in Verlegenheit, und sagte: Es seyen ein paar
Bücher drinn gewesen, die er Sophien geliehen
habe.

Seine meiste Zeit brachte er nun in der Einsamkeit
auf seinem Zimmer, oder bey P. Philipp zu, mit
dem er aber so wenig, als möglich, von Sophien
sprach. Kronhelm schrieb ihm fleißig, aber trau-
rig, und erwartete mit aller Sehnsucht seine An-
kunft in Jngolstadt. Therese und sein Vater schrie-
ben ihm auch, daß er auf Ostern dahin abreisen
könne, welches ihm sehr lieb war, da ihm die



nachdachte, fand er nichts, daß er ſich vorzuwer-
fen haͤtte, und beruhigte ſich von dieſer Seite. Doch
beſchaͤftigte ſich ſeine Seele lange mit den traurig-
ſten Gedanken. Das Bild der leidenden Sophie
begleitete ihn aller Orten hin, und erſchien ihm
manche Nacht im Traum. Er bekam aufs neue
die ſtaͤrkſte Abneigung vor der Liebe, die ſo vieles
Ungluͤck auf der Welt anrichtet. Er vermied ſorg-
faͤltig, viel in Gruͤnbachs Haus zu gehen, weil
ihn da alles, beſonders die ſchwarze Kleidung ih-
rer Eltern, zu lebhaft an Sophien erinnerte. Die
Mutter wollte wiſſen, was das Packet ihrer Toch-
ter an ihn enthalten habe? Er kam uͤber die Fra-
ge in Verlegenheit, und ſagte: Es ſeyen ein paar
Buͤcher drinn geweſen, die er Sophien geliehen
habe.

Seine meiſte Zeit brachte er nun in der Einſamkeit
auf ſeinem Zimmer, oder bey P. Philipp zu, mit
dem er aber ſo wenig, als moͤglich, von Sophien
ſprach. Kronhelm ſchrieb ihm fleißig, aber trau-
rig, und erwartete mit aller Sehnſucht ſeine An-
kunft in Jngolſtadt. Thereſe und ſein Vater ſchrie-
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[533/0113] nachdachte, fand er nichts, daß er ſich vorzuwer- fen haͤtte, und beruhigte ſich von dieſer Seite. Doch beſchaͤftigte ſich ſeine Seele lange mit den traurig- ſten Gedanken. Das Bild der leidenden Sophie begleitete ihn aller Orten hin, und erſchien ihm manche Nacht im Traum. Er bekam aufs neue die ſtaͤrkſte Abneigung vor der Liebe, die ſo vieles Ungluͤck auf der Welt anrichtet. Er vermied ſorg- faͤltig, viel in Gruͤnbachs Haus zu gehen, weil ihn da alles, beſonders die ſchwarze Kleidung ih- rer Eltern, zu lebhaft an Sophien erinnerte. Die Mutter wollte wiſſen, was das Packet ihrer Toch- ter an ihn enthalten habe? Er kam uͤber die Fra- ge in Verlegenheit, und ſagte: Es ſeyen ein paar Buͤcher drinn geweſen, die er Sophien geliehen habe. Seine meiſte Zeit brachte er nun in der Einſamkeit auf ſeinem Zimmer, oder bey P. Philipp zu, mit dem er aber ſo wenig, als moͤglich, von Sophien ſprach. Kronhelm ſchrieb ihm fleißig, aber trau- rig, und erwartete mit aller Sehnſucht ſeine An- kunft in Jngolſtadt. Thereſe und ſein Vater ſchrie- ben ihm auch, daß er auf Oſtern dahin abreiſen koͤnne, welches ihm ſehr lieb war, da ihm die

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/113>, abgerufen am 24.04.2024.