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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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dir öd und ekel wird! Lern aus meinem Schick-
sal, und du wirst mich segnen.



Vom dritten May (als sie Abends im Garten zu-
sammen gewesen waren).

Jch liebe selbst nicht; wünsch auch nie zu lie-
ben! So hast du selbst gesagt, du Theurer, den
ich über alles liebe. Fasse dich, meine Seele! Er
liebt nicht, wünscht auch nie zu lieben. Also sind
die Hofnungen gesunken, die die Liebe baute. Also
wirst du nie geliebt werden, armes, liebekrankes
Herz! O ihr Heiligen, erbarmet euch mein, und
tröstet mich! Nicht geliebt werden, und lieben,
ach so heiß und innig lieben -- ist ein harter Kampf,
den ein armes schwaches Mädchen ohne Gott nicht
kämpfen kann; Gott, du wirst mich nicht verlas-
sen! -- Komm, Gedanke des Todes! Komm,
und küsse mich statt seiner! Hauche mich kalt an,
daß ich hinsink und sterbe! -- Ach, du liebst
mich nicht, Erwählter, und ich liebe dich doch über
alles. -- Singt mir ein Todtenlied, ihr Gespie-
linnen der Jugend! Jhr Vertraute meiner Kin-
derjahre, kommt und hängt den Flor um, und
singt: Sie liebte, wurde nicht geliebt, und starb. --

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dir oͤd und ekel wird! Lern aus meinem Schick-
ſal, und du wirſt mich ſegnen.



Vom dritten May (als ſie Abends im Garten zu-
ſammen geweſen waren).

Jch liebe ſelbſt nicht; wuͤnſch auch nie zu lie-
ben! So haſt du ſelbſt geſagt, du Theurer, den
ich uͤber alles liebe. Faſſe dich, meine Seele! Er
liebt nicht, wuͤnſcht auch nie zu lieben. Alſo ſind
die Hofnungen geſunken, die die Liebe baute. Alſo
wirſt du nie geliebt werden, armes, liebekrankes
Herz! O ihr Heiligen, erbarmet euch mein, und
troͤſtet mich! Nicht geliebt werden, und lieben,
ach ſo heiß und innig lieben — iſt ein harter Kampf,
den ein armes ſchwaches Maͤdchen ohne Gott nicht
kaͤmpfen kann; Gott, du wirſt mich nicht verlaſ-
ſen! — Komm, Gedanke des Todes! Komm,
und kuͤſſe mich ſtatt ſeiner! Hauche mich kalt an,
daß ich hinſink und ſterbe! — Ach, du liebſt
mich nicht, Erwaͤhlter, und ich liebe dich doch uͤber
alles. — Singt mir ein Todtenlied, ihr Geſpie-
linnen der Jugend! Jhr Vertraute meiner Kin-
derjahre, kommt und haͤngt den Flor um, und
ſingt: Sie liebte, wurde nicht geliebt, und ſtarb. —

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[521/0101] dir oͤd und ekel wird! Lern aus meinem Schick- ſal, und du wirſt mich ſegnen. Vom dritten May (als ſie Abends im Garten zu- ſammen geweſen waren). Jch liebe ſelbſt nicht; wuͤnſch auch nie zu lie- ben! So haſt du ſelbſt geſagt, du Theurer, den ich uͤber alles liebe. Faſſe dich, meine Seele! Er liebt nicht, wuͤnſcht auch nie zu lieben. Alſo ſind die Hofnungen geſunken, die die Liebe baute. Alſo wirſt du nie geliebt werden, armes, liebekrankes Herz! O ihr Heiligen, erbarmet euch mein, und troͤſtet mich! Nicht geliebt werden, und lieben, ach ſo heiß und innig lieben — iſt ein harter Kampf, den ein armes ſchwaches Maͤdchen ohne Gott nicht kaͤmpfen kann; Gott, du wirſt mich nicht verlaſ- ſen! — Komm, Gedanke des Todes! Komm, und kuͤſſe mich ſtatt ſeiner! Hauche mich kalt an, daß ich hinſink und ſterbe! — Ach, du liebſt mich nicht, Erwaͤhlter, und ich liebe dich doch uͤber alles. — Singt mir ein Todtenlied, ihr Geſpie- linnen der Jugend! Jhr Vertraute meiner Kin- derjahre, kommt und haͤngt den Flor um, und ſingt: Sie liebte, wurde nicht geliebt, und ſtarb. — L l

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/101>, abgerufen am 20.04.2024.