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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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I. Der Tourist von Fach u. s. Reiseschüler -- apodemische Studien.
denen es gilt, Zeit, Mühe, Verdruß und Geld zu ersparen,
sondern ebenfalls Solche, die der Gesundheit halber reisen
oder sich an fremdem Orte aufhalten, wenn auch die Bedürf-
nisse der letzteren natürlich nur so weit berücksichtigt werden
können, als sie nicht Sache des Arztes sind. -- Mein
Neffe Eduard, fuhr er fort (wie ich später hörte, war der
junge Mann leidend und sollte den nächsten Winter im Sü-
den zubringen), ist mein Erbe. Da nun aber ein Theil mei-
nes Vermögens bald nach mir auch den Wanderstab ergriffen
hat und nur in Erinnerungen und Erfahrungen umgewan-
delt heimgekehrt ist, so möchte ich wenigstens mit dieser ideellen
Valuta so viel als thunlich meine Hinterlassenschaft ergänzen,
damit der arme Junge nicht zu kurz kommt. Bis jetzt kann
ich indessen seinen Eifer und seine Fortschritte nicht sehr rüh-
men, es ist mir darum lieb, daß Sie ihm mit gutem Beispiele
vorangehen wollen. -- Der alte Herr, dem Touristisches
einer der liebsten Gesprächsstoffe war, hatte nämlich bald be-
merkt, daß er an mir einen aufmerksamen und dankbaren
Hörer fand. Was er seine Altersgeschwätzigkeit nannte, war
mir höchlich willkommen, denn ich brauchte nur irgend einen
Gegenstand aus unsrem Lieblingsgebiete zu berühren, so
zeigte sich, daß er darüber Erfahrungen gesammelt hatte. So
machte ich also unter seiner Leitung meine apodemischen Stu-
dien, und wir verabredeten, daß ein Buch daraus werden, in
welchem er Ulysses minor heißen sollte. Mich ernannte
er zu seinem Adoptiv-Telemach und zum Universalerben seiner
ganzen Reiseweisheit, versprach und lieferte mir auch seinen
Vorrath von Aufzeichnungen zu unbeschränkter Verfügung für
unser gemeinschaftliches Buch.

Ihr seid das Literaturvolk, sagte er. Von je hundert
Deutschen sollen neunundneunzig schreiben gelernt haben.
Ob dasselbe günstige Verhältniß sich auch auf Eure Autoren
erstreckt, ich meine, ob von je hundert derselben neunund-
neunzig auch schreiben können, mögen die Literaturzeitungen
entscheiden, hoffentlich sind Sie nicht gerade Einer von denen,

1*

I. Der Touriſt von Fach u. ſ. Reiſeſchüler — apodemiſche Studien.
denen es gilt, Zeit, Mühe, Verdruß und Geld zu erſparen,
ſondern ebenfalls Solche, die der Geſundheit halber reiſen
oder ſich an fremdem Orte aufhalten, wenn auch die Bedürf-
niſſe der letzteren natürlich nur ſo weit berückſichtigt werden
können, als ſie nicht Sache des Arztes ſind. — Mein
Neffe Eduard, fuhr er fort (wie ich ſpäter hörte, war der
junge Mann leidend und ſollte den nächſten Winter im Sü-
den zubringen), iſt mein Erbe. Da nun aber ein Theil mei-
nes Vermögens bald nach mir auch den Wanderſtab ergriffen
hat und nur in Erinnerungen und Erfahrungen umgewan-
delt heimgekehrt iſt, ſo möchte ich wenigſtens mit dieſer ideellen
Valuta ſo viel als thunlich meine Hinterlaſſenſchaft ergänzen,
damit der arme Junge nicht zu kurz kommt. Bis jetzt kann
ich indeſſen ſeinen Eifer und ſeine Fortſchritte nicht ſehr rüh-
men, es iſt mir darum lieb, daß Sie ihm mit gutem Beiſpiele
vorangehen wollen. — Der alte Herr, dem Touriſtiſches
einer der liebſten Geſprächsſtoffe war, hatte nämlich bald be-
merkt, daß er an mir einen aufmerkſamen und dankbaren
Hörer fand. Was er ſeine Altersgeſchwätzigkeit nannte, war
mir höchlich willkommen, denn ich brauchte nur irgend einen
Gegenſtand aus unſrem Lieblingsgebiete zu berühren, ſo
zeigte ſich, daß er darüber Erfahrungen geſammelt hatte. So
machte ich alſo unter ſeiner Leitung meine apodemiſchen Stu-
dien, und wir verabredeten, daß ein Buch daraus werden, in
welchem er Ulyſſes minor heißen ſollte. Mich ernannte
er zu ſeinem Adoptiv-Telemach und zum Univerſalerben ſeiner
ganzen Reiſeweisheit, verſprach und lieferte mir auch ſeinen
Vorrath von Aufzeichnungen zu unbeſchränkter Verfügung für
unſer gemeinſchaftliches Buch.

Ihr ſeid das Literaturvolk, ſagte er. Von je hundert
Deutſchen ſollen neunundneunzig ſchreiben gelernt haben.
Ob daſſelbe günſtige Verhältniß ſich auch auf Eure Autoren
erſtreckt, ich meine, ob von je hundert derſelben neunund-
neunzig auch ſchreiben können, mögen die Literaturzeitungen
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[3/0017] I. Der Touriſt von Fach u. ſ. Reiſeſchüler — apodemiſche Studien. denen es gilt, Zeit, Mühe, Verdruß und Geld zu erſparen, ſondern ebenfalls Solche, die der Geſundheit halber reiſen oder ſich an fremdem Orte aufhalten, wenn auch die Bedürf- niſſe der letzteren natürlich nur ſo weit berückſichtigt werden können, als ſie nicht Sache des Arztes ſind. — Mein Neffe Eduard, fuhr er fort (wie ich ſpäter hörte, war der junge Mann leidend und ſollte den nächſten Winter im Sü- den zubringen), iſt mein Erbe. Da nun aber ein Theil mei- nes Vermögens bald nach mir auch den Wanderſtab ergriffen hat und nur in Erinnerungen und Erfahrungen umgewan- delt heimgekehrt iſt, ſo möchte ich wenigſtens mit dieſer ideellen Valuta ſo viel als thunlich meine Hinterlaſſenſchaft ergänzen, damit der arme Junge nicht zu kurz kommt. Bis jetzt kann ich indeſſen ſeinen Eifer und ſeine Fortſchritte nicht ſehr rüh- men, es iſt mir darum lieb, daß Sie ihm mit gutem Beiſpiele vorangehen wollen. — Der alte Herr, dem Touriſtiſches einer der liebſten Geſprächsſtoffe war, hatte nämlich bald be- merkt, daß er an mir einen aufmerkſamen und dankbaren Hörer fand. Was er ſeine Altersgeſchwätzigkeit nannte, war mir höchlich willkommen, denn ich brauchte nur irgend einen Gegenſtand aus unſrem Lieblingsgebiete zu berühren, ſo zeigte ſich, daß er darüber Erfahrungen geſammelt hatte. So machte ich alſo unter ſeiner Leitung meine apodemiſchen Stu- dien, und wir verabredeten, daß ein Buch daraus werden, in welchem er Ulyſſes minor heißen ſollte. Mich ernannte er zu ſeinem Adoptiv-Telemach und zum Univerſalerben ſeiner ganzen Reiſeweisheit, verſprach und lieferte mir auch ſeinen Vorrath von Aufzeichnungen zu unbeſchränkter Verfügung für unſer gemeinſchaftliches Buch. Ihr ſeid das Literaturvolk, ſagte er. Von je hundert Deutſchen ſollen neunundneunzig ſchreiben gelernt haben. Ob daſſelbe günſtige Verhältniß ſich auch auf Eure Autoren erſtreckt, ich meine, ob von je hundert derſelben neunund- neunzig auch ſchreiben können, mögen die Literaturzeitungen entſcheiden, hoffentlich ſind Sie nicht gerade Einer von denen, 1*

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/17>, abgerufen am 29.03.2024.