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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Feuer zu thun, -- die Herrschaften drüben setzen sich
eben erst zu Tische. Haltet Euch droben still, Ihr seid
dort sicher, und einen Diener am Wort werd' ich auch
nicht verhungern lassen."

Damit reichte sie ihm die Ampel, er stieg ohne
weitere Umstände die Leiter hinauf, hob mit der Rech¬
ten die Thüre und trat in ein nacktes kerkerähnliches
Kämmerchen. Die Alte folgte ihm mit Brot und Wein,
trat dann durch das Seitenpförtchen in der Wand in
ein, wie es schien, weites luftiges Nebengemach und
kehrte mit einem ansehnlichen Stück gedörrten Schinkens
zurück. An der Wand über einem wenig einladenden
Schragen hing ein großes, massiv mit Silber beschla¬
genes Pulverhorn.

"Das, Herr," sagte darauf deutend die Alte, "will
ich meinem Sohne morgen schicken. Es ist das Erbe
von seinem Ohm und Pathen, ein hundertjähriges
Beutestück aus dem Müsserkriege."

Nach kurzer Zeit streckte sich Waser auf das Lager
und versuchte zu schlafen, aber es gelang ihm nicht.
Einen Augenblick war er eingedämmert, Traumgestalten
bewegten sich vor seinen Augen, Jenatsch und Lucretia,
Herr Magister Semmler und die Alte am Feuer, der
Wirth zur Maloja und der grobe Lucas setzten sich zu
einander in die seltsamsten Wechselbeziehungen. Plötz¬

Feuer zu thun, — die Herrſchaften drüben ſetzen ſich
eben erſt zu Tiſche. Haltet Euch droben ſtill, Ihr ſeid
dort ſicher, und einen Diener am Wort werd' ich auch
nicht verhungern laſſen.“

Damit reichte ſie ihm die Ampel, er ſtieg ohne
weitere Umſtände die Leiter hinauf, hob mit der Rech¬
ten die Thüre und trat in ein nacktes kerkerähnliches
Kämmerchen. Die Alte folgte ihm mit Brot und Wein,
trat dann durch das Seitenpförtchen in der Wand in
ein, wie es ſchien, weites luftiges Nebengemach und
kehrte mit einem anſehnlichen Stück gedörrten Schinkens
zurück. An der Wand über einem wenig einladenden
Schragen hing ein großes, maſſiv mit Silber beſchla¬
genes Pulverhorn.

„Das, Herr,“ ſagte darauf deutend die Alte, „will
ich meinem Sohne morgen ſchicken. Es iſt das Erbe
von ſeinem Ohm und Pathen, ein hundertjähriges
Beuteſtück aus dem Müſſerkriege.“

Nach kurzer Zeit ſtreckte ſich Waſer auf das Lager
und verſuchte zu ſchlafen, aber es gelang ihm nicht.
Einen Augenblick war er eingedämmert, Traumgeſtalten
bewegten ſich vor ſeinen Augen, Jenatſch und Lucretia,
Herr Magiſter Semmler und die Alte am Feuer, der
Wirth zur Maloja und der grobe Lucas ſetzten ſich zu
einander in die ſeltſamſten Wechſelbeziehungen. Plötz¬

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[37/0047] Feuer zu thun, — die Herrſchaften drüben ſetzen ſich eben erſt zu Tiſche. Haltet Euch droben ſtill, Ihr ſeid dort ſicher, und einen Diener am Wort werd' ich auch nicht verhungern laſſen.“ Damit reichte ſie ihm die Ampel, er ſtieg ohne weitere Umſtände die Leiter hinauf, hob mit der Rech¬ ten die Thüre und trat in ein nacktes kerkerähnliches Kämmerchen. Die Alte folgte ihm mit Brot und Wein, trat dann durch das Seitenpförtchen in der Wand in ein, wie es ſchien, weites luftiges Nebengemach und kehrte mit einem anſehnlichen Stück gedörrten Schinkens zurück. An der Wand über einem wenig einladenden Schragen hing ein großes, maſſiv mit Silber beſchla¬ genes Pulverhorn. „Das, Herr,“ ſagte darauf deutend die Alte, „will ich meinem Sohne morgen ſchicken. Es iſt das Erbe von ſeinem Ohm und Pathen, ein hundertjähriges Beuteſtück aus dem Müſſerkriege.“ Nach kurzer Zeit ſtreckte ſich Waſer auf das Lager und verſuchte zu ſchlafen, aber es gelang ihm nicht. Einen Augenblick war er eingedämmert, Traumgeſtalten bewegten ſich vor ſeinen Augen, Jenatſch und Lucretia, Herr Magiſter Semmler und die Alte am Feuer, der Wirth zur Maloja und der grobe Lucas ſetzten ſich zu einander in die ſeltſamſten Wechſelbeziehungen. Plötz¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/47>, abgerufen am 19.04.2024.