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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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chen anweisen könnt, denn der Wirth hat mich andrer
Gäste wegen, ausgeschlossen." --

Die Alte griff erstaunt aber unerschrocken nach
ihrer Oellampe. Das Flämmchen mit der Hand gegen
den Luftzug deckend, näherte sie sich der Fensteröffnung
und beschaute sich den durch das Gitter redenden Kopf.

Als sie das heiter kluge junge Gesicht und die wohl¬
anständige Halskrause erblickte, wurden ihre scharfen
grauen Augen sehr freundlich und sie sagte: "Ihr seid
wohl auch ein Prädikant?"

"Ein Stück davon!" antwortete Waser, der in
seiner Heimat nicht leicht eine Unwahrheit sagte, aber
auf diesem wilden unwirthlichen Boden den Umständen
etwas einräumte. "Laßt mich ein, Mütterchen, das
Weitere wird sich finden."

Die Alte nickte ihm zu, den Finger auf den Mund
legend, und verschwand. Jetzt knarrte ein niedriges
Pförtchen neben dem Ziegenstalle, Waser kletterte hinun¬
ter und wurde von der Alten, die seine Hand ergriff,
über ein paar dunkle Stufen hinauf in die Küche ge¬
zogen.

"Ein warmes Kämmerchen findet sich wohl, -- das
meinige!" sagte sie, auf eine Leitertreppe neben dem
Rauchfange deutend, die zu einer Fallthüre in der ge¬
mauerten Decke führte. "Ich habe die ganze Nacht am

chen anweiſen könnt, denn der Wirth hat mich andrer
Gäſte wegen, ausgeſchloſſen.“ —

Die Alte griff erſtaunt aber unerſchrocken nach
ihrer Oellampe. Das Flämmchen mit der Hand gegen
den Luftzug deckend, näherte ſie ſich der Fenſteröffnung
und beſchaute ſich den durch das Gitter redenden Kopf.

Als ſie das heiter kluge junge Geſicht und die wohl¬
anſtändige Halskrauſe erblickte, wurden ihre ſcharfen
grauen Augen ſehr freundlich und ſie ſagte: „Ihr ſeid
wohl auch ein Prädikant?“

„Ein Stück davon!“ antwortete Waſer, der in
ſeiner Heimat nicht leicht eine Unwahrheit ſagte, aber
auf dieſem wilden unwirthlichen Boden den Umſtänden
etwas einräumte. „Laßt mich ein, Mütterchen, das
Weitere wird ſich finden.“

Die Alte nickte ihm zu, den Finger auf den Mund
legend, und verſchwand. Jetzt knarrte ein niedriges
Pförtchen neben dem Ziegenſtalle, Waſer kletterte hinun¬
ter und wurde von der Alten, die ſeine Hand ergriff,
über ein paar dunkle Stufen hinauf in die Küche ge¬
zogen.

„Ein warmes Kämmerchen findet ſich wohl, — das
meinige!“ ſagte ſie, auf eine Leitertreppe neben dem
Rauchfange deutend, die zu einer Fallthüre in der ge¬
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[36/0046] chen anweiſen könnt, denn der Wirth hat mich andrer Gäſte wegen, ausgeſchloſſen.“ — Die Alte griff erſtaunt aber unerſchrocken nach ihrer Oellampe. Das Flämmchen mit der Hand gegen den Luftzug deckend, näherte ſie ſich der Fenſteröffnung und beſchaute ſich den durch das Gitter redenden Kopf. Als ſie das heiter kluge junge Geſicht und die wohl¬ anſtändige Halskrauſe erblickte, wurden ihre ſcharfen grauen Augen ſehr freundlich und ſie ſagte: „Ihr ſeid wohl auch ein Prädikant?“ „Ein Stück davon!“ antwortete Waſer, der in ſeiner Heimat nicht leicht eine Unwahrheit ſagte, aber auf dieſem wilden unwirthlichen Boden den Umſtänden etwas einräumte. „Laßt mich ein, Mütterchen, das Weitere wird ſich finden.“ Die Alte nickte ihm zu, den Finger auf den Mund legend, und verſchwand. Jetzt knarrte ein niedriges Pförtchen neben dem Ziegenſtalle, Waſer kletterte hinun¬ ter und wurde von der Alten, die ſeine Hand ergriff, über ein paar dunkle Stufen hinauf in die Küche ge¬ zogen. „Ein warmes Kämmerchen findet ſich wohl, — das meinige!“ ſagte ſie, auf eine Leitertreppe neben dem Rauchfange deutend, die zu einer Fallthüre in der ge¬ mauerten Decke führte. „Ich habe die ganze Nacht am

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/46>, abgerufen am 16.04.2024.