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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Jetzt setzte die Alte rasch ihre Pfanne weg, faßte
den Träumer unsanft an der Schulter, rüttelte ihn und
rief ihn an: "Erwache, Agostin! Ich will Dich nicht
länger in meiner Küche. Das sind nicht die Träume
des Erzvaters Jakob . . . Dich plagt der Böse. Fort
in's Heu! Und der Herr behüte Dich vor den Fall¬
stricken der Hölle. --"

Die langlockige, schmale Gestalt erhob sich mit
gesenktem Haupte und entfernte sich ohne Widerrede.

"Was Du für meinen Sohn, den Pfarrer Alexan¬
der in Ardenn, mitzunehmen hast, werd' ich Dir morgen
in der Frühe, wenn Du hier Deinen Tragkorb holst,
selber obenauf binden!" rief ihm die Alte nach und
setzte dann kopfschüttelnd hinzu: "Eigentlich sollt' ich
dem papistischen Querkopfe das theure Erbstück nicht an¬
vertrauen!". . .

"Das könnt' ich Euch besser besorgen, gute Frau,"
sprach Waser mit Vertrauen erweckender Stimme
zwischen den Eisenstäben hindurch ins Gemach hinein.
"Ich gehe morgen über den Muretto ins Veltlin zu
Pfarrer Jenatsch, dem Freunde und Nachbar Eures
würdigen Sohnes, Herr Blasius Alexander, dessen
Name mir wohl bekannt ist, denn er hat ein gutes
Gerücht in protestantischen Landen. Wohlverstanden,
wenn Ihr mir bis zur Frühe ein trockenes Schlafplätz¬

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Jetzt ſetzte die Alte raſch ihre Pfanne weg, faßte
den Träumer unſanft an der Schulter, rüttelte ihn und
rief ihn an: „Erwache, Agoſtin! Ich will Dich nicht
länger in meiner Küche. Das ſind nicht die Träume
des Erzvaters Jakob . . . Dich plagt der Böſe. Fort
in's Heu! Und der Herr behüte Dich vor den Fall¬
ſtricken der Hölle. —“

Die langlockige, ſchmale Geſtalt erhob ſich mit
geſenktem Haupte und entfernte ſich ohne Widerrede.

„Was Du für meinen Sohn, den Pfarrer Alexan¬
der in Ardenn, mitzunehmen haſt, werd' ich Dir morgen
in der Frühe, wenn Du hier Deinen Tragkorb holſt,
ſelber obenauf binden!“ rief ihm die Alte nach und
ſetzte dann kopfſchüttelnd hinzu: „Eigentlich ſollt' ich
dem papiſtiſchen Querkopfe das theure Erbſtück nicht an¬
vertrauen!“. . .

„Das könnt' ich Euch beſſer beſorgen, gute Frau,“
ſprach Waſer mit Vertrauen erweckender Stimme
zwiſchen den Eiſenſtäben hindurch ins Gemach hinein.
„Ich gehe morgen über den Muretto ins Veltlin zu
Pfarrer Jenatſch, dem Freunde und Nachbar Eures
würdigen Sohnes, Herr Blaſius Alexander, deſſen
Name mir wohl bekannt iſt, denn er hat ein gutes
Gerücht in proteſtantiſchen Landen. Wohlverſtanden,
wenn Ihr mir bis zur Frühe ein trockenes Schlafplätz¬

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[35/0045] Jetzt ſetzte die Alte raſch ihre Pfanne weg, faßte den Träumer unſanft an der Schulter, rüttelte ihn und rief ihn an: „Erwache, Agoſtin! Ich will Dich nicht länger in meiner Küche. Das ſind nicht die Träume des Erzvaters Jakob . . . Dich plagt der Böſe. Fort in's Heu! Und der Herr behüte Dich vor den Fall¬ ſtricken der Hölle. —“ Die langlockige, ſchmale Geſtalt erhob ſich mit geſenktem Haupte und entfernte ſich ohne Widerrede. „Was Du für meinen Sohn, den Pfarrer Alexan¬ der in Ardenn, mitzunehmen haſt, werd' ich Dir morgen in der Frühe, wenn Du hier Deinen Tragkorb holſt, ſelber obenauf binden!“ rief ihm die Alte nach und ſetzte dann kopfſchüttelnd hinzu: „Eigentlich ſollt' ich dem papiſtiſchen Querkopfe das theure Erbſtück nicht an¬ vertrauen!“. . . „Das könnt' ich Euch beſſer beſorgen, gute Frau,“ ſprach Waſer mit Vertrauen erweckender Stimme zwiſchen den Eiſenſtäben hindurch ins Gemach hinein. „Ich gehe morgen über den Muretto ins Veltlin zu Pfarrer Jenatſch, dem Freunde und Nachbar Eures würdigen Sohnes, Herr Blaſius Alexander, deſſen Name mir wohl bekannt iſt, denn er hat ein gutes Gerücht in proteſtantiſchen Landen. Wohlverſtanden, wenn Ihr mir bis zur Frühe ein trockenes Schlafplätz¬ 3*

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/45>, abgerufen am 25.04.2024.