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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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konnte. Waser gewahrte, der dunkeln Steinmasse zu¬
schreitend, mit Befriedigung, daß die Pforte der Hof¬
mauer geöffnet war, und sah den Wirth, einen hagern
knochigen Italiäner, die tobenden Hunde an die Kette
legen, wozu ihm der Stalljunge mit einer Pechfackel
leuchtete. Das versprach einen gastlichen Empfang.
Jetzt ergriff der Wirth die Fackel und hielt sie dem
anlangenden Wanderer vors Gesicht.

"Was verlangt der Herr? Womit kann ich
dienen?" fragte er, in unangenehmer Ueberraschung
einen leisen Fluch, die Aeußerung seines ersten Gefühls,
unterdrückend.

"Welche Frage?" antwortete Waser in fröhlichem
Tone, "Platz an der Feuerstelle, um mich zu trocknen,
Abendbrot und Nachtlager."

"Thut mir leid, Herr, -- unmöglich!" versetzte
der Wirth mit einer sein Bedauern und zugleich seine
Unerschütterlichkeit höchst lebhaft ausdrückenden Geberde,
"das Haus ist besetzt."

"Was, besetzt? Ihr schient ja noch Gäste zu er¬
warten? Ein Obdach, wie immer beschaffen, könnt Ihr
einem Reisenden in dieser Oede und in solcher frostigen
Regennacht nicht unchristlich verweigern!"

Der Italiäner reckte die Hand aus, gegen Süden
weisend, wo der Nebel dünner war und jenseits der

konnte. Waſer gewahrte, der dunkeln Steinmaſſe zu¬
ſchreitend, mit Befriedigung, daß die Pforte der Hof¬
mauer geöffnet war, und ſah den Wirth, einen hagern
knochigen Italiäner, die tobenden Hunde an die Kette
legen, wozu ihm der Stalljunge mit einer Pechfackel
leuchtete. Das verſprach einen gaſtlichen Empfang.
Jetzt ergriff der Wirth die Fackel und hielt ſie dem
anlangenden Wanderer vors Geſicht.

„Was verlangt der Herr? Womit kann ich
dienen?“ fragte er, in unangenehmer Ueberraſchung
einen leiſen Fluch, die Aeußerung ſeines erſten Gefühls,
unterdrückend.

„Welche Frage?“ antwortete Waſer in fröhlichem
Tone, „Platz an der Feuerſtelle, um mich zu trocknen,
Abendbrot und Nachtlager.“

„Thut mir leid, Herr, — unmöglich!“ verſetzte
der Wirth mit einer ſein Bedauern und zugleich ſeine
Unerſchütterlichkeit höchſt lebhaft ausdrückenden Geberde,
„das Haus iſt beſetzt.“

„Was, beſetzt? Ihr ſchient ja noch Gäſte zu er¬
warten? Ein Obdach, wie immer beſchaffen, könnt Ihr
einem Reiſenden in dieſer Oede und in ſolcher froſtigen
Regennacht nicht unchriſtlich verweigern!“

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[31/0041] konnte. Waſer gewahrte, der dunkeln Steinmaſſe zu¬ ſchreitend, mit Befriedigung, daß die Pforte der Hof¬ mauer geöffnet war, und ſah den Wirth, einen hagern knochigen Italiäner, die tobenden Hunde an die Kette legen, wozu ihm der Stalljunge mit einer Pechfackel leuchtete. Das verſprach einen gaſtlichen Empfang. Jetzt ergriff der Wirth die Fackel und hielt ſie dem anlangenden Wanderer vors Geſicht. „Was verlangt der Herr? Womit kann ich dienen?“ fragte er, in unangenehmer Ueberraſchung einen leiſen Fluch, die Aeußerung ſeines erſten Gefühls, unterdrückend. „Welche Frage?“ antwortete Waſer in fröhlichem Tone, „Platz an der Feuerſtelle, um mich zu trocknen, Abendbrot und Nachtlager.“ „Thut mir leid, Herr, — unmöglich!“ verſetzte der Wirth mit einer ſein Bedauern und zugleich ſeine Unerſchütterlichkeit höchſt lebhaft ausdrückenden Geberde, „das Haus iſt beſetzt.“ „Was, beſetzt? Ihr ſchient ja noch Gäſte zu er¬ warten? Ein Obdach, wie immer beſchaffen, könnt Ihr einem Reiſenden in dieſer Oede und in ſolcher froſtigen Regennacht nicht unchriſtlich verweigern!“ Der Italiäner reckte die Hand aus, gegen Süden weiſend, wo der Nebel dünner war und jenſeits der

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/41>, abgerufen am 24.04.2024.