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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Jungen, vornehmlich mit dem durch eine unübersteigliche,
mit der Zeit immer größer werdende Kluft von ihr
getrennten Jenatsch, nicht die weibliche Zartheit und
adelich feine Sitte des kleinen Fräuleins gefährden
könnte.

"Flausen!" rief der Freiherr. "Ihr dürft Euch
darüber keine Gedanken machen, daß das Kind dem
Jungen nach Zürich nachgelaufen ist. Daran ist nie¬
mand als der Rudolf Schuld. Er tyrannisirt das
Mädchen und ängstigt es damit, daß er es seine kleine
Braut nennt. -- Er mag wohl derartiges von seinem
Vater gehört haben, meinem Bruder wär' es nicht
unwillkommen, denn ich bin der Reichere; -- aber das
liegt in weitem Felde. Kurz, sie hat den stärkern Jürg,
den der Andere fürchtet, zu ihrem Beschützer gemacht.
-- Natürlich Kindereien. -- Lucretia kommt nächstens
zu adelicher Erziehung ins Kloster und hinter den
Mauern wird sie mir sittsam genug werden, denn sie
ist nachdenklichen Gemüths. -- Was übrigens Eure
unübersteiglichen Klüfte betrifft, so meinen wir in Bün¬
den, auch wenn wir es nicht sagen: Das ist Vorurtheil.
Ehre, Macht und Besitz, versteht sich von selbst, muß
haben wer um eine Planta werben will. Ob es aus
Jahrhunderten stamme oder gestern errafft sei, darnach
fragen wir zuletzt."

Jungen, vornehmlich mit dem durch eine unüberſteigliche,
mit der Zeit immer größer werdende Kluft von ihr
getrennten Jenatſch, nicht die weibliche Zartheit und
adelich feine Sitte des kleinen Fräuleins gefährden
könnte.

„Flauſen!“ rief der Freiherr. „Ihr dürft Euch
darüber keine Gedanken machen, daß das Kind dem
Jungen nach Zürich nachgelaufen iſt. Daran iſt nie¬
mand als der Rudolf Schuld. Er tyranniſirt das
Mädchen und ängſtigt es damit, daß er es ſeine kleine
Braut nennt. — Er mag wohl derartiges von ſeinem
Vater gehört haben, meinem Bruder wär' es nicht
unwillkommen, denn ich bin der Reichere; — aber das
liegt in weitem Felde. Kurz, ſie hat den ſtärkern Jürg,
den der Andere fürchtet, zu ihrem Beſchützer gemacht.
— Natürlich Kindereien. — Lucretia kommt nächſtens
zu adelicher Erziehung ins Kloſter und hinter den
Mauern wird ſie mir ſittſam genug werden, denn ſie
iſt nachdenklichen Gemüths. — Was übrigens Eure
unüberſteiglichen Klüfte betrifft, ſo meinen wir in Bün¬
den, auch wenn wir es nicht ſagen: Das iſt Vorurtheil.
Ehre, Macht und Beſitz, verſteht ſich von ſelbſt, muß
haben wer um eine Planta werben will. Ob es aus
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fragen wir zuletzt.“

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[26/0036] Jungen, vornehmlich mit dem durch eine unüberſteigliche, mit der Zeit immer größer werdende Kluft von ihr getrennten Jenatſch, nicht die weibliche Zartheit und adelich feine Sitte des kleinen Fräuleins gefährden könnte. „Flauſen!“ rief der Freiherr. „Ihr dürft Euch darüber keine Gedanken machen, daß das Kind dem Jungen nach Zürich nachgelaufen iſt. Daran iſt nie¬ mand als der Rudolf Schuld. Er tyranniſirt das Mädchen und ängſtigt es damit, daß er es ſeine kleine Braut nennt. — Er mag wohl derartiges von ſeinem Vater gehört haben, meinem Bruder wär' es nicht unwillkommen, denn ich bin der Reichere; — aber das liegt in weitem Felde. Kurz, ſie hat den ſtärkern Jürg, den der Andere fürchtet, zu ihrem Beſchützer gemacht. — Natürlich Kindereien. — Lucretia kommt nächſtens zu adelicher Erziehung ins Kloſter und hinter den Mauern wird ſie mir ſittſam genug werden, denn ſie iſt nachdenklichen Gemüths. — Was übrigens Eure unüberſteiglichen Klüfte betrifft, ſo meinen wir in Bün¬ den, auch wenn wir es nicht ſagen: Das iſt Vorurtheil. Ehre, Macht und Beſitz, verſteht ſich von ſelbſt, muß haben wer um eine Planta werben will. Ob es aus Jahrhunderten ſtamme oder geſtern errafft ſei, darnach fragen wir zuletzt.“

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/36>, abgerufen am 18.04.2024.