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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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euch beigehen laßt über die unvergleichliche Figur des
göttlichen Sauhirten oder die Wäsche des Königstöchter¬
leins Nausikaa zu lachen, was eben so unziemlich als
absurd ist, wie ich euch schon eines Oeftern bewiesen
habe. -- -- Du bist eine Bündnerin? Wem gehörst
Du, Kind?" wandte er sich jetzt mit väterlichem Wohl¬
wollen zu der Kleinen, "und wer brachte Dich hierher?
Denn," setzte er, seinen geliebten Homer parodirend,
hinzu, "nicht kamst Du zu Fuß, wie es scheint, nach
Zürich gewandelt."

"Mein Vater heißt Pompejus Planta," antwortete
die Kleine und erzählte dann ruhig weiter: "Ich kam
mit ihm nach Rapperswyl und als ich den schönen
blauen See sah und hörte, daß am andern Ende die
Stadt Zürich sei, so machte ich mich auf den Weg. In
einem Dorfe sah ich zwei Schiffer zur Abfahrt rüsten
und da ich sehr müde war, nahmen sie mich mit."

Pompejus Planta, der Vielgenannte, der ange¬
sehenste Mann in Bünden, das allmächtige Parteihaupt!
Dieser Name machte auf Herrn Semmler einen über¬
wältigenden Eindruck. Sogleich schloß er die Schul¬
stunde und führte die kleine Bündnerin unter sein gast¬
liches Dach, gefolgt von dem jungen Waser, der bei
dem Magister, seinem mütterlichen Ohm, an diesem
Wochentage das Mittagsmahl einzunehmen pflegte.

euch beigehen laßt über die unvergleichliche Figur des
göttlichen Sauhirten oder die Wäſche des Königstöchter¬
leins Nauſikaa zu lachen, was eben ſo unziemlich als
abſurd iſt, wie ich euch ſchon eines Oeftern bewieſen
habe. — — Du biſt eine Bündnerin? Wem gehörſt
Du, Kind?“ wandte er ſich jetzt mit väterlichem Wohl¬
wollen zu der Kleinen, „und wer brachte Dich hierher?
Denn,“ ſetzte er, ſeinen geliebten Homer parodirend,
hinzu, „nicht kamſt Du zu Fuß, wie es ſcheint, nach
Zürich gewandelt.“

„Mein Vater heißt Pompejus Planta,“ antwortete
die Kleine und erzählte dann ruhig weiter: „Ich kam
mit ihm nach Rapperswyl und als ich den ſchönen
blauen See ſah und hörte, daß am andern Ende die
Stadt Zürich ſei, ſo machte ich mich auf den Weg. In
einem Dorfe ſah ich zwei Schiffer zur Abfahrt rüſten
und da ich ſehr müde war, nahmen ſie mich mit.“

Pompejus Planta, der Vielgenannte, der ange¬
ſehenſte Mann in Bünden, das allmächtige Parteihaupt!
Dieſer Name machte auf Herrn Semmler einen über¬
wältigenden Eindruck. Sogleich ſchloß er die Schul¬
ſtunde und führte die kleine Bündnerin unter ſein gaſt¬
liches Dach, gefolgt von dem jungen Waſer, der bei
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[18/0028] euch beigehen laßt über die unvergleichliche Figur des göttlichen Sauhirten oder die Wäſche des Königstöchter¬ leins Nauſikaa zu lachen, was eben ſo unziemlich als abſurd iſt, wie ich euch ſchon eines Oeftern bewieſen habe. — — Du biſt eine Bündnerin? Wem gehörſt Du, Kind?“ wandte er ſich jetzt mit väterlichem Wohl¬ wollen zu der Kleinen, „und wer brachte Dich hierher? Denn,“ ſetzte er, ſeinen geliebten Homer parodirend, hinzu, „nicht kamſt Du zu Fuß, wie es ſcheint, nach Zürich gewandelt.“ „Mein Vater heißt Pompejus Planta,“ antwortete die Kleine und erzählte dann ruhig weiter: „Ich kam mit ihm nach Rapperswyl und als ich den ſchönen blauen See ſah und hörte, daß am andern Ende die Stadt Zürich ſei, ſo machte ich mich auf den Weg. In einem Dorfe ſah ich zwei Schiffer zur Abfahrt rüſten und da ich ſehr müde war, nahmen ſie mich mit.“ Pompejus Planta, der Vielgenannte, der ange¬ ſehenſte Mann in Bünden, das allmächtige Parteihaupt! Dieſer Name machte auf Herrn Semmler einen über¬ wältigenden Eindruck. Sogleich ſchloß er die Schul¬ ſtunde und führte die kleine Bündnerin unter ſein gaſt¬ liches Dach, gefolgt von dem jungen Waſer, der bei dem Magiſter, ſeinem mütterlichen Ohm, an dieſem Wochentage das Mittagsmahl einzunehmen pflegte.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/28>, abgerufen am 20.04.2024.