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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Weg verlegen?" fuhr er fort, als der Andere, halb
verblüfft, halb drohend, wie eingewurzelt stehen blieb.
"Sind wir im finstern Mittelalter oder zu Anfang
unseres gebildeten siebzehnten Jahrhunderts? Wißt Ihr,
wer vor Euch steht? . . . So erfahrt es: der Amts¬
schreiber Heinrich Waser, Civis turicensis."

"Narrenpossen!" stieß der alte Bündner zwischen
den Zähnen hervor.

"Laß ab von dem Herrn, Lucas!" ertönte jetzt ein
gebieterischer Ruf hinter den Felstrümmern rechts vom
Wege hervor und der Zürcher, der unwillkürlich dem
Klange der Stimme seewärts sich zuwandte, gewahrte
nach wenigen Schritten den mittäglichen Ruheplatz einer
reisenden Gesellschaft.

Neben einem aus dunkeln Augen blickenden, kaum
dem Kindesalter entwachsenen Mädchen, das im Schatten
eines Felsens auf hingebreiteten Teppichen saß und aus¬
ruhte, stand ein stattlicher Kavalier, denn das war er
nach seiner ganzen Erscheinung trotz des schlichten Reise¬
gewandes und der schmucklosen Waffen. Am Rande
des See's grasten die des Sattels und Zaumes ent¬
ledigten Rosse der drei Reisenden.

Der Zürcher ging, die Gruppe scharf ins Auge
fassend, mit immer gewissern Schritten auf den bünd¬

Weg verlegen?“ fuhr er fort, als der Andere, halb
verblüfft, halb drohend, wie eingewurzelt ſtehen blieb.
„Sind wir im finſtern Mittelalter oder zu Anfang
unſeres gebildeten ſiebzehnten Jahrhunderts? Wißt Ihr,
wer vor Euch ſteht? . . . So erfahrt es: der Amts¬
ſchreiber Heinrich Waſer, Civis turicensis.“

„Narrenpoſſen!“ ſtieß der alte Bündner zwiſchen
den Zähnen hervor.

„Laß ab von dem Herrn, Lucas!“ ertönte jetzt ein
gebieteriſcher Ruf hinter den Felstrümmern rechts vom
Wege hervor und der Zürcher, der unwillkürlich dem
Klange der Stimme ſeewärts ſich zuwandte, gewahrte
nach wenigen Schritten den mittäglichen Ruheplatz einer
reiſenden Geſellſchaft.

Neben einem aus dunkeln Augen blickenden, kaum
dem Kindesalter entwachſenen Mädchen, das im Schatten
eines Felſens auf hingebreiteten Teppichen ſaß und aus¬
ruhte, ſtand ein ſtattlicher Kavalier, denn das war er
nach ſeiner ganzen Erſcheinung trotz des ſchlichten Reiſe¬
gewandes und der ſchmuckloſen Waffen. Am Rande
des See's graſten die des Sattels und Zaumes ent¬
ledigten Roſſe der drei Reiſenden.

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[7/0017] Weg verlegen?“ fuhr er fort, als der Andere, halb verblüfft, halb drohend, wie eingewurzelt ſtehen blieb. „Sind wir im finſtern Mittelalter oder zu Anfang unſeres gebildeten ſiebzehnten Jahrhunderts? Wißt Ihr, wer vor Euch ſteht? . . . So erfahrt es: der Amts¬ ſchreiber Heinrich Waſer, Civis turicensis.“ „Narrenpoſſen!“ ſtieß der alte Bündner zwiſchen den Zähnen hervor. „Laß ab von dem Herrn, Lucas!“ ertönte jetzt ein gebieteriſcher Ruf hinter den Felstrümmern rechts vom Wege hervor und der Zürcher, der unwillkürlich dem Klange der Stimme ſeewärts ſich zuwandte, gewahrte nach wenigen Schritten den mittäglichen Ruheplatz einer reiſenden Geſellſchaft. Neben einem aus dunkeln Augen blickenden, kaum dem Kindesalter entwachſenen Mädchen, das im Schatten eines Felſens auf hingebreiteten Teppichen ſaß und aus¬ ruhte, ſtand ein ſtattlicher Kavalier, denn das war er nach ſeiner ganzen Erſcheinung trotz des ſchlichten Reiſe¬ gewandes und der ſchmuckloſen Waffen. Am Rande des See's graſten die des Sattels und Zaumes ent¬ ledigten Roſſe der drei Reiſenden. Der Zürcher ging, die Gruppe ſcharf ins Auge faſſend, mit immer gewiſſern Schritten auf den bünd¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/17>, abgerufen am 19.04.2024.