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Menzel, Carl August (Hrsg.): Der praktische Maurer. Halle, 1847.

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2) (Taf. VI. Fig. 135.) Bei jedem Gewölbe wirkt der Seitenschub
nach derjenigen Richtung der Tangente, welche man auf dem Halbmes-
ser des Fugenschnittes zieht. Bildet die Tangente eine Lothrechte auf
die Grundlinie des Bogens, so ist kein Seitenschub, sondern nur ein
senkrechter Druck vorhanden; bildet die Tangente eine Wagerechte und
folglich Parallele mit der Grundlinie (wie jede Tangente im Scheitel
eines Bogens thun wird), so ist der Seitenschub auf diesem Punkte
der größtmöglichste.

Es wird also der Seitenschub nach derjenigen Tangente hin der
geringste sein, welche Tangente sich der lothrechten Linie am mei-
sten nähert.

Nach dieser Vorerinnerung betrachten wir die Fig. 135. O. ist
der Mittelpunkt des Viertelkreises, in welchem die beiden Gewölbe-
steine A. und B. liegen; bO. ist die Mittellinie des Steines A., dO.
die Mittellinie des Steines B., ac. ist eine Tangente auf bO., ce.
eine Tangente auf dO.

Die Tangente ac. nähert sich mehr einer lothrechten Linie als
die Tangente ce., und es folgt hieraus nach dem Vorigen: daß der
Stein A. einen geringeren Seitenschub ausüben wird, als der Stein
B. Es folgt aber noch: daß alle noch bis zur Mitte des Bogens
gehende Steine (welche hier nicht gezeichnet sind) einen um so größe-
ren Seitenschub üben werden, je mehr ihre Tangenten sich der wage-
rechten Linie nähern, welches im Schlußsteine der Fall sein wird.

Es folgt ferner hieraus: daß je steiler ein Gewölbebogen an
sich ist, die einzelnen Tangenten um so mehr der Lothrechten sich nä-
hern werden, folglich der Seitenschub um so geringer sein wird. Ge-
rade umgekehrt wird bei einem flachen Bogen die größere Anzahl der
Tangenten sich mehr der wagerechten Linie nähern. Woraus wieder
folgt: daß der Seitenschub eines flachen Gewölbes größer als der
eines steilen, und der Seitenschub eines sogenannten scheitrechten Bo-
gens der größte sein wird.

3) Die Dicke eines Gewölbes kann entweder in ihrem ganzen Um-
fange gleich dick sein, wie es bei Gurtbogen von gebrannten Mauer-
steinen, oder bei kleineren Gewölben dieses Materials gewöhnlich der
Fall ist, oder die Gewölbe werden nach dem Scheitel zu dünner, wel-
cher Fall bei Gewölben von Hausteinen, bei großen Ziegelgewölben
oder auch bei Gußgewölben eintritt. Sind sie durchweg gleich stark,
so braucht ein freistehender Bogen, wenn er sich ohne Bindemittel
halten soll, wenigstens den sechzehnten Theil seines lichten Durch-
messers zur Stärke. Da aber die Gewölbebogen immer noch eine

2) (Taf. VI. Fig. 135.) Bei jedem Gewölbe wirkt der Seitenſchub
nach derjenigen Richtung der Tangente, welche man auf dem Halbmeſ-
ſer des Fugenſchnittes zieht. Bildet die Tangente eine Lothrechte auf
die Grundlinie des Bogens, ſo iſt kein Seitenſchub, ſondern nur ein
ſenkrechter Druck vorhanden; bildet die Tangente eine Wagerechte und
folglich Parallele mit der Grundlinie (wie jede Tangente im Scheitel
eines Bogens thun wird), ſo iſt der Seitenſchub auf dieſem Punkte
der größtmöglichſte.

Es wird alſo der Seitenſchub nach derjenigen Tangente hin der
geringſte ſein, welche Tangente ſich der lothrechten Linie am mei-
ſten nähert.

Nach dieſer Vorerinnerung betrachten wir die Fig. 135. O. iſt
der Mittelpunkt des Viertelkreiſes, in welchem die beiden Gewölbe-
ſteine A. und B. liegen; bO. iſt die Mittellinie des Steines A., dO.
die Mittellinie des Steines B., ac. iſt eine Tangente auf bO., ce.
eine Tangente auf dO.

Die Tangente ac. nähert ſich mehr einer lothrechten Linie als
die Tangente ce., und es folgt hieraus nach dem Vorigen: daß der
Stein A. einen geringeren Seitenſchub ausüben wird, als der Stein
B. Es folgt aber noch: daß alle noch bis zur Mitte des Bogens
gehende Steine (welche hier nicht gezeichnet ſind) einen um ſo größe-
ren Seitenſchub üben werden, je mehr ihre Tangenten ſich der wage-
rechten Linie nähern, welches im Schlußſteine der Fall ſein wird.

Es folgt ferner hieraus: daß je ſteiler ein Gewölbebogen an
ſich iſt, die einzelnen Tangenten um ſo mehr der Lothrechten ſich nä-
hern werden, folglich der Seitenſchub um ſo geringer ſein wird. Ge-
rade umgekehrt wird bei einem flachen Bogen die größere Anzahl der
Tangenten ſich mehr der wagerechten Linie nähern. Woraus wieder
folgt: daß der Seitenſchub eines flachen Gewölbes größer als der
eines ſteilen, und der Seitenſchub eines ſogenannten ſcheitrechten Bo-
gens der größte ſein wird.

3) Die Dicke eines Gewölbes kann entweder in ihrem ganzen Um-
fange gleich dick ſein, wie es bei Gurtbogen von gebrannten Mauer-
ſteinen, oder bei kleineren Gewölben dieſes Materials gewöhnlich der
Fall iſt, oder die Gewölbe werden nach dem Scheitel zu dünner, wel-
cher Fall bei Gewölben von Hauſteinen, bei großen Ziegelgewölben
oder auch bei Gußgewölben eintritt. Sind ſie durchweg gleich ſtark,
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meſſers zur Stärke. Da aber die Gewölbebogen immer noch eine

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[180/0190] 2) (Taf. VI. Fig. 135.) Bei jedem Gewölbe wirkt der Seitenſchub nach derjenigen Richtung der Tangente, welche man auf dem Halbmeſ- ſer des Fugenſchnittes zieht. Bildet die Tangente eine Lothrechte auf die Grundlinie des Bogens, ſo iſt kein Seitenſchub, ſondern nur ein ſenkrechter Druck vorhanden; bildet die Tangente eine Wagerechte und folglich Parallele mit der Grundlinie (wie jede Tangente im Scheitel eines Bogens thun wird), ſo iſt der Seitenſchub auf dieſem Punkte der größtmöglichſte. Es wird alſo der Seitenſchub nach derjenigen Tangente hin der geringſte ſein, welche Tangente ſich der lothrechten Linie am mei- ſten nähert. Nach dieſer Vorerinnerung betrachten wir die Fig. 135. O. iſt der Mittelpunkt des Viertelkreiſes, in welchem die beiden Gewölbe- ſteine A. und B. liegen; bO. iſt die Mittellinie des Steines A., dO. die Mittellinie des Steines B., ac. iſt eine Tangente auf bO., ce. eine Tangente auf dO. Die Tangente ac. nähert ſich mehr einer lothrechten Linie als die Tangente ce., und es folgt hieraus nach dem Vorigen: daß der Stein A. einen geringeren Seitenſchub ausüben wird, als der Stein B. Es folgt aber noch: daß alle noch bis zur Mitte des Bogens gehende Steine (welche hier nicht gezeichnet ſind) einen um ſo größe- ren Seitenſchub üben werden, je mehr ihre Tangenten ſich der wage- rechten Linie nähern, welches im Schlußſteine der Fall ſein wird. Es folgt ferner hieraus: daß je ſteiler ein Gewölbebogen an ſich iſt, die einzelnen Tangenten um ſo mehr der Lothrechten ſich nä- hern werden, folglich der Seitenſchub um ſo geringer ſein wird. Ge- rade umgekehrt wird bei einem flachen Bogen die größere Anzahl der Tangenten ſich mehr der wagerechten Linie nähern. Woraus wieder folgt: daß der Seitenſchub eines flachen Gewölbes größer als der eines ſteilen, und der Seitenſchub eines ſogenannten ſcheitrechten Bo- gens der größte ſein wird. 3) Die Dicke eines Gewölbes kann entweder in ihrem ganzen Um- fange gleich dick ſein, wie es bei Gurtbogen von gebrannten Mauer- ſteinen, oder bei kleineren Gewölben dieſes Materials gewöhnlich der Fall iſt, oder die Gewölbe werden nach dem Scheitel zu dünner, wel- cher Fall bei Gewölben von Hauſteinen, bei großen Ziegelgewölben oder auch bei Gußgewölben eintritt. Sind ſie durchweg gleich ſtark, ſo braucht ein freiſtehender Bogen, wenn er ſich ohne Bindemittel halten ſoll, wenigſtens den ſechzehnten Theil ſeines lichten Durch- meſſers zur Stärke. Da aber die Gewölbebogen immer noch eine

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Zitationshilfe: Menzel, Carl August (Hrsg.): Der praktische Maurer. Halle, 1847, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_maurer_1847/190>, abgerufen am 23.04.2024.