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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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etwas Dunkles angenommen. Auch hier hat man be¬
stimmte Regeln, summirt, statt einen Begriff und Satz
aus dem andern zu entwickeln. Indeß hat eben auch
hier, wie überall, das Entdecken und Sammeln dem
Ordnen und Wählen vorhergehn müssen.

In der Mechanik stehn wir, wie alle übrigen
Völker, den Engländern nach, doch haben auch bei
uns geniale Köpfe sehr sinnreiche und wichtige Er¬
findungen gemacht, und wir lernen von den Fremden,
was wir nicht selbst ersinnen. Die Mechanik dient
dem Nutzen so ausschließlich, daß der Geschmack nicht
einmal in der Baukunst den ihm gebührenden Antheil
geltend machen kann. Unsre Baukunst bringt durch¬
aus keine Werke hervor, die mit den alten in Ab¬
sicht auf Geschmack wetteifern könnten, und wenn wir
auch den antiken oder gothischen Geschmack nachah¬
men, so sind dies vereinzelte Versuche, die gewöhn¬
lich zum Ganzen unsrer übrigen Bauweise nicht pas¬
sen. Wir sehn griechische Rundels und gothische
Spitzen mitten unter unsern gemeinen viereckigen Häu¬
sern, und die barocke Mischung des Geschmacks hebt
den Totaleindruck auf. Selbst der materielle Theil
der Baukunst ist vernachlässigt. Jene große kunst¬
fertige Gilde der Maurer und Steinmetzen ist ver¬
schwunden, und die neuern Handwerker besitzen nicht
mehr die Arkana, vermittelst welcher jene Alten die
dauerhaftesten Werke gründeten.

In den militärischen Wissenschaften ist, vor¬
züglich seit Napoleons Kriegsherrschaft auch in Deutsch¬

etwas Dunkles angenommen. Auch hier hat man be¬
ſtimmte Regeln, ſummirt, ſtatt einen Begriff und Satz
aus dem andern zu entwickeln. Indeß hat eben auch
hier, wie uͤberall, das Entdecken und Sammeln dem
Ordnen und Waͤhlen vorhergehn muͤſſen.

In der Mechanik ſtehn wir, wie alle uͤbrigen
Voͤlker, den Englaͤndern nach, doch haben auch bei
uns geniale Koͤpfe ſehr ſinnreiche und wichtige Er¬
findungen gemacht, und wir lernen von den Fremden,
was wir nicht ſelbſt erſinnen. Die Mechanik dient
dem Nutzen ſo ausſchließlich, daß der Geſchmack nicht
einmal in der Baukunſt den ihm gebuͤhrenden Antheil
geltend machen kann. Unſre Baukunſt bringt durch¬
aus keine Werke hervor, die mit den alten in Ab¬
ſicht auf Geſchmack wetteifern koͤnnten, und wenn wir
auch den antiken oder gothiſchen Geſchmack nachah¬
men, ſo ſind dies vereinzelte Verſuche, die gewoͤhn¬
lich zum Ganzen unſrer uͤbrigen Bauweiſe nicht paſ¬
ſen. Wir ſehn griechiſche Rundels und gothiſche
Spitzen mitten unter unſern gemeinen viereckigen Haͤu¬
ſern, und die barocke Miſchung des Geſchmacks hebt
den Totaleindruck auf. Selbſt der materielle Theil
der Baukunſt iſt vernachlaͤſſigt. Jene große kunſt¬
fertige Gilde der Maurer und Steinmetzen iſt ver¬
ſchwunden, und die neuern Handwerker beſitzen nicht
mehr die Arkana, vermittelſt welcher jene Alten die
dauerhafteſten Werke gruͤndeten.

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[33/0043] etwas Dunkles angenommen. Auch hier hat man be¬ ſtimmte Regeln, ſummirt, ſtatt einen Begriff und Satz aus dem andern zu entwickeln. Indeß hat eben auch hier, wie uͤberall, das Entdecken und Sammeln dem Ordnen und Waͤhlen vorhergehn muͤſſen. In der Mechanik ſtehn wir, wie alle uͤbrigen Voͤlker, den Englaͤndern nach, doch haben auch bei uns geniale Koͤpfe ſehr ſinnreiche und wichtige Er¬ findungen gemacht, und wir lernen von den Fremden, was wir nicht ſelbſt erſinnen. Die Mechanik dient dem Nutzen ſo ausſchließlich, daß der Geſchmack nicht einmal in der Baukunſt den ihm gebuͤhrenden Antheil geltend machen kann. Unſre Baukunſt bringt durch¬ aus keine Werke hervor, die mit den alten in Ab¬ ſicht auf Geſchmack wetteifern koͤnnten, und wenn wir auch den antiken oder gothiſchen Geſchmack nachah¬ men, ſo ſind dies vereinzelte Verſuche, die gewoͤhn¬ lich zum Ganzen unſrer uͤbrigen Bauweiſe nicht paſ¬ ſen. Wir ſehn griechiſche Rundels und gothiſche Spitzen mitten unter unſern gemeinen viereckigen Haͤu¬ ſern, und die barocke Miſchung des Geſchmacks hebt den Totaleindruck auf. Selbſt der materielle Theil der Baukunſt iſt vernachlaͤſſigt. Jene große kunſt¬ fertige Gilde der Maurer und Steinmetzen iſt ver¬ ſchwunden, und die neuern Handwerker beſitzen nicht mehr die Arkana, vermittelſt welcher jene Alten die dauerhafteſten Werke gruͤndeten. In den militaͤriſchen Wiſſenſchaften iſt, vor¬ zuͤglich ſeit Napoleons Kriegsherrſchaft auch in Deutſch¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/43>, abgerufen am 28.03.2024.