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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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mehr zur Natur zurückkehrt. Der alte Aberglaube
ward gebändigt durch die genaue Kenntniß der Na¬
turkräfte; die Roheit und Armuth des geselligen Le¬
bens ward in Schönheit, Fülle und friedlichen Ge¬
nuß verwandelt durch die Anwendung jener Kennt¬
nisse; die Poesie ist an der Hand der Natur aus ih¬
ren gelehrten Verirrungen zurückgekehrt, und selbst
die Philosophie hat durch die Naturwissenschaft ihre
Reinigung und Verjüngung erlebt. Alle großen Ent¬
wicklungen der neuern Zeit knüpfen sich an große
Entdeckungen in der Natur, und alle wahrhaft hu¬
mane Bildung und aller physische und geistige Wohl¬
stand des jüngsten Geschlechtes ist darin begründet.

Immer auf doppelte Weise wird durch Natur¬
kunde die Befreiung des menschlichen Geschlechts be¬
fördert, durch die Aufklärung des Geistes über die
Naturkräfte und durch den ökonomischen Gebrauch
derselben. Die Astronomie und die Entdeckung der
fremden Welttheile ging der Reformation, die Che¬
mie, Physiologie und große mechanische Entdeckungen
gingen der Revolution vorher. Der Sinn, der an
die engste Gegenwart gefesselt war, wurde frei durch
den großen Blick ins Universum; die dumpfe Angst
vor geheimnißvollen Naturkräften verschwand vor der
Erkenntniß des einfachen Naturgesetzes; das Kraft¬
gefühl wurde gestärkt durch die Herrschaft über die
ungeheuern Gewalten der Natur. Zugleich aber be¬
gründete die Naturkunde einen neuen Handel, Indu¬
strie aller Art und in ihrem Gefolge einen neuen

mehr zur Natur zuruͤckkehrt. Der alte Aberglaube
ward gebaͤndigt durch die genaue Kenntniß der Na¬
turkraͤfte; die Roheit und Armuth des geſelligen Le¬
bens ward in Schoͤnheit, Fuͤlle und friedlichen Ge¬
nuß verwandelt durch die Anwendung jener Kennt¬
niſſe; die Poeſie iſt an der Hand der Natur aus ih¬
ren gelehrten Verirrungen zuruͤckgekehrt, und ſelbſt
die Philoſophie hat durch die Naturwiſſenſchaft ihre
Reinigung und Verjuͤngung erlebt. Alle großen Ent¬
wicklungen der neuern Zeit knuͤpfen ſich an große
Entdeckungen in der Natur, und alle wahrhaft hu¬
mane Bildung und aller phyſiſche und geiſtige Wohl¬
ſtand des juͤngſten Geſchlechtes iſt darin begruͤndet.

Immer auf doppelte Weiſe wird durch Natur¬
kunde die Befreiung des menſchlichen Geſchlechts be¬
foͤrdert, durch die Aufklaͤrung des Geiſtes uͤber die
Naturkraͤfte und durch den oͤkonomiſchen Gebrauch
derſelben. Die Aſtronomie und die Entdeckung der
fremden Welttheile ging der Reformation, die Che¬
mie, Phyſiologie und große mechaniſche Entdeckungen
gingen der Revolution vorher. Der Sinn, der an
die engſte Gegenwart gefeſſelt war, wurde frei durch
den großen Blick ins Univerſum; die dumpfe Angſt
vor geheimnißvollen Naturkraͤften verſchwand vor der
Erkenntniß des einfachen Naturgeſetzes; das Kraft¬
gefuͤhl wurde geſtaͤrkt durch die Herrſchaft uͤber die
ungeheuern Gewalten der Natur. Zugleich aber be¬
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[2/0012] mehr zur Natur zuruͤckkehrt. Der alte Aberglaube ward gebaͤndigt durch die genaue Kenntniß der Na¬ turkraͤfte; die Roheit und Armuth des geſelligen Le¬ bens ward in Schoͤnheit, Fuͤlle und friedlichen Ge¬ nuß verwandelt durch die Anwendung jener Kennt¬ niſſe; die Poeſie iſt an der Hand der Natur aus ih¬ ren gelehrten Verirrungen zuruͤckgekehrt, und ſelbſt die Philoſophie hat durch die Naturwiſſenſchaft ihre Reinigung und Verjuͤngung erlebt. Alle großen Ent¬ wicklungen der neuern Zeit knuͤpfen ſich an große Entdeckungen in der Natur, und alle wahrhaft hu¬ mane Bildung und aller phyſiſche und geiſtige Wohl¬ ſtand des juͤngſten Geſchlechtes iſt darin begruͤndet. Immer auf doppelte Weiſe wird durch Natur¬ kunde die Befreiung des menſchlichen Geſchlechts be¬ foͤrdert, durch die Aufklaͤrung des Geiſtes uͤber die Naturkraͤfte und durch den oͤkonomiſchen Gebrauch derſelben. Die Aſtronomie und die Entdeckung der fremden Welttheile ging der Reformation, die Che¬ mie, Phyſiologie und große mechaniſche Entdeckungen gingen der Revolution vorher. Der Sinn, der an die engſte Gegenwart gefeſſelt war, wurde frei durch den großen Blick ins Univerſum; die dumpfe Angſt vor geheimnißvollen Naturkraͤften verſchwand vor der Erkenntniß des einfachen Naturgeſetzes; das Kraft¬ gefuͤhl wurde geſtaͤrkt durch die Herrſchaft uͤber die ungeheuern Gewalten der Natur. Zugleich aber be¬ gruͤndete die Naturkunde einen neuen Handel, Indu¬ ſtrie aller Art und in ihrem Gefolge einen neuen

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/12>, abgerufen am 19.04.2024.