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Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871.

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Zweites Capitel.
Die Wirthschaft und die wirthschaftlichen Güter.

Die Bedürfnisse entspringen unseren Trieben, diese aber
wurzeln in unserer Natur; die Nichtbefriedigung der Bedürfnisse
hat die Vernichtung, die mangelhafte Befriedigung die Ver-
kümmerung unserer Natur zur Folge; seine Bedürfnisse befrie-
digen, heisst aber leben und gedeihen. Die Sorge für die Be-
friedigung unserer Bedürfnisse ist demnach gleichbedeutend mit
der Sorge für unser Leben und unsere Wohlfahrt; sie ist die
wichtigste aller menschlichen Bestrebungen, denn sie ist die Vor-
aussetzung und die Grundlage aller übrigen.

Diese Sorge äussert sich im practischen Leben der Menschen
dadurch, dass sie darauf bedacht sind, alles dasjenige in ihrer
Gewalt zu haben, wovon die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ab-
hängt. Verfügen wir nämlich über die zur Befriedigung unserer
Bedürfnisse erforderlichen Güter, so hängt diese letztere dann
lediglich von unserem Willen ab; damit ist aber unserem prac-
tischen Zwecke vollkommen Genüge gethan, denn unser Leben
und unsere Wohlfahrt sind dann in unsere eigene Hand gegeben.
Die Quantität von Gütern, welche ein Mensch zur Befriedigung
seiner Bedürfnisse benöthigt, nennen wir seinen Bedarf. Die
Sorge der Menschen für die Aufrechterhaltung ihres Lebens und
ihrer Wohlfahrt wird demnach zur Sorge für die Deckung ihres
Bedarfes.

Nun wäre aber die Befriedigung der Bedürfnisse und so-
mit das Leben und die Wohlfahrt der Menschen sehr schlecht
gesichert, würden sie erst dann darauf bedacht sein, ihren Be-
darf an Gütern zu decken, wenn die Bedürfnisse nach diesen
letzteren sich bereits unmittelbar geltend machen.

Man setze den Fall, dass die Bewohner eines Landes beim
Einbruche der rauhen Jahreszeit ohne alle Vorräthe von Nahrungs-
mitteln und Bekleidungsstoffen wären, so ist kein Zweifel, dass

Zweites Capitel.
Die Wirthschaft und die wirthschaftlichen Güter.

Die Bedürfnisse entspringen unseren Trieben, diese aber
wurzeln in unserer Natur; die Nichtbefriedigung der Bedürfnisse
hat die Vernichtung, die mangelhafte Befriedigung die Ver-
kümmerung unserer Natur zur Folge; seine Bedürfnisse befrie-
digen, heisst aber leben und gedeihen. Die Sorge für die Be-
friedigung unserer Bedürfnisse ist demnach gleichbedeutend mit
der Sorge für unser Leben und unsere Wohlfahrt; sie ist die
wichtigste aller menschlichen Bestrebungen, denn sie ist die Vor-
aussetzung und die Grundlage aller übrigen.

Diese Sorge äussert sich im practischen Leben der Menschen
dadurch, dass sie darauf bedacht sind, alles dasjenige in ihrer
Gewalt zu haben, wovon die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ab-
hängt. Verfügen wir nämlich über die zur Befriedigung unserer
Bedürfnisse erforderlichen Güter, so hängt diese letztere dann
lediglich von unserem Willen ab; damit ist aber unserem prac-
tischen Zwecke vollkommen Genüge gethan, denn unser Leben
und unsere Wohlfahrt sind dann in unsere eigene Hand gegeben.
Die Quantität von Gütern, welche ein Mensch zur Befriedigung
seiner Bedürfnisse benöthigt, nennen wir seinen Bedarf. Die
Sorge der Menschen für die Aufrechterhaltung ihres Lebens und
ihrer Wohlfahrt wird demnach zur Sorge für die Deckung ihres
Bedarfes.

Nun wäre aber die Befriedigung der Bedürfnisse und so-
mit das Leben und die Wohlfahrt der Menschen sehr schlecht
gesichert, würden sie erst dann darauf bedacht sein, ihren Be-
darf an Gütern zu decken, wenn die Bedürfnisse nach diesen
letzteren sich bereits unmittelbar geltend machen.

Man setze den Fall, dass die Bewohner eines Landes beim
Einbruche der rauhen Jahreszeit ohne alle Vorräthe von Nahrungs-
mitteln und Bekleidungsstoffen wären, so ist kein Zweifel, dass

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[[32]/0050] Zweites Capitel. Die Wirthschaft und die wirthschaftlichen Güter. Die Bedürfnisse entspringen unseren Trieben, diese aber wurzeln in unserer Natur; die Nichtbefriedigung der Bedürfnisse hat die Vernichtung, die mangelhafte Befriedigung die Ver- kümmerung unserer Natur zur Folge; seine Bedürfnisse befrie- digen, heisst aber leben und gedeihen. Die Sorge für die Be- friedigung unserer Bedürfnisse ist demnach gleichbedeutend mit der Sorge für unser Leben und unsere Wohlfahrt; sie ist die wichtigste aller menschlichen Bestrebungen, denn sie ist die Vor- aussetzung und die Grundlage aller übrigen. Diese Sorge äussert sich im practischen Leben der Menschen dadurch, dass sie darauf bedacht sind, alles dasjenige in ihrer Gewalt zu haben, wovon die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ab- hängt. Verfügen wir nämlich über die zur Befriedigung unserer Bedürfnisse erforderlichen Güter, so hängt diese letztere dann lediglich von unserem Willen ab; damit ist aber unserem prac- tischen Zwecke vollkommen Genüge gethan, denn unser Leben und unsere Wohlfahrt sind dann in unsere eigene Hand gegeben. Die Quantität von Gütern, welche ein Mensch zur Befriedigung seiner Bedürfnisse benöthigt, nennen wir seinen Bedarf. Die Sorge der Menschen für die Aufrechterhaltung ihres Lebens und ihrer Wohlfahrt wird demnach zur Sorge für die Deckung ihres Bedarfes. Nun wäre aber die Befriedigung der Bedürfnisse und so- mit das Leben und die Wohlfahrt der Menschen sehr schlecht gesichert, würden sie erst dann darauf bedacht sein, ihren Be- darf an Gütern zu decken, wenn die Bedürfnisse nach diesen letzteren sich bereits unmittelbar geltend machen. Man setze den Fall, dass die Bewohner eines Landes beim Einbruche der rauhen Jahreszeit ohne alle Vorräthe von Nahrungs- mitteln und Bekleidungsstoffen wären, so ist kein Zweifel, dass

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Zitationshilfe: Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871, S. [32]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menger_volkswirtschaftslehre_1871/50>, abgerufen am 29.03.2024.