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Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871.

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Zeit -- Irrthum.
scheinungen in diesem Processe und diesen selbst nie voll-
ständig zu erfassen vermögen, wofern wir denselben nicht in der
Zeit betrachten und das Mass derselben an ihn legen. Auch bei
dem Wandlungsprocesse, durch welchen die Güter höherer
Ordnung stufenweise in solche niederer Ordnung verwandelt
werden, bis diese schliesslich jenen Zustand bewirken, den wir
die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nennen, ist deshalb
die Zeit ein wesentliches Moment unserer Beobachtung.

Wenn wir über die complementären Güter irgend einer
höheren Ordnung verfügen, so müssen diese Güter vorerst in
solche der nächst niederen und so stufenweise fort verwandelt
werden, bis dieselben zu Gütern erster Ordnung gestaltet sind,
welche letzteren wir erst der Befriedigung unserer Bedürfnisse
in unmittelbarer Weise zuführen können. Die Zeiträume, welche
zwischen den einzelnen Phasen dieses Processes liegen, mögen
in manchen Fällen noch so kurz erscheinen und die Fortschritte
in der Technik und im Verkehrswesen immerhin die Tendenz
haben, dieselben mehr und mehr abzukürzen -- ein vollstän-
diges Verschwinden derselben ist indess undenkbar. Es ist unmög-
lich, Güter irgend einer höheren Ordnung durch einen blossen
Wink in die entsprechenden Güter niederer Ordnung zu ver-
wandeln; vielmehr ist nichts sicherer, als dass derjenige, der
über Güter höherer Ordnung verfügt, erst nach einem gewissen,
je nach der Natur des Falles bald kürzerem, bald längerem
Zeitraume über die entsprechenden Güter der nächst niederen
Ordnung zu verfügen in der Lage sein wird. Was nun aber
hier von dem einzelnen Gliede der Causalkette gesagt wird, gilt
im erhöhten Masse von dem ganzen Processe.

Der Zeitraum, welchen dieser Process in den einzelnen
Fällen ausfüllt, ist je nach der Natur dieser letzteren sehr ver-
schieden. Wer über die sämmtlichen zur Hervorbringung eines
Eichenwaldes nöthigen Grundstücke, Arbeitsleistungen, Werk-
zeuge und Samenfrüchte verfügt, wird an hundert Jahre warten
müssen, ehe er über einen schlagbaren Hochwald selbst zu ver-
fügen in der Lage sein wird, und in den meisten Fällen wird
dies wohl erst bei den Erben oder sonstigen Rechtsnachfolgern
desselben der Fall sein, dagegen mag derjenige, der über die
Ingredienzien von Speisen oder Getränken und die zu ihrer Er-

Zeit — Irrthum.
scheinungen in diesem Processe und diesen selbst nie voll-
ständig zu erfassen vermögen, wofern wir denselben nicht in der
Zeit betrachten und das Mass derselben an ihn legen. Auch bei
dem Wandlungsprocesse, durch welchen die Güter höherer
Ordnung stufenweise in solche niederer Ordnung verwandelt
werden, bis diese schliesslich jenen Zustand bewirken, den wir
die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nennen, ist deshalb
die Zeit ein wesentliches Moment unserer Beobachtung.

Wenn wir über die complementären Güter irgend einer
höheren Ordnung verfügen, so müssen diese Güter vorerst in
solche der nächst niederen und so stufenweise fort verwandelt
werden, bis dieselben zu Gütern erster Ordnung gestaltet sind,
welche letzteren wir erst der Befriedigung unserer Bedürfnisse
in unmittelbarer Weise zuführen können. Die Zeiträume, welche
zwischen den einzelnen Phasen dieses Processes liegen, mögen
in manchen Fällen noch so kurz erscheinen und die Fortschritte
in der Technik und im Verkehrswesen immerhin die Tendenz
haben, dieselben mehr und mehr abzukürzen — ein vollstän-
diges Verschwinden derselben ist indess undenkbar. Es ist unmög-
lich, Güter irgend einer höheren Ordnung durch einen blossen
Wink in die entsprechenden Güter niederer Ordnung zu ver-
wandeln; vielmehr ist nichts sicherer, als dass derjenige, der
über Güter höherer Ordnung verfügt, erst nach einem gewissen,
je nach der Natur des Falles bald kürzerem, bald längerem
Zeitraume über die entsprechenden Güter der nächst niederen
Ordnung zu verfügen in der Lage sein wird. Was nun aber
hier von dem einzelnen Gliede der Causalkette gesagt wird, gilt
im erhöhten Masse von dem ganzen Processe.

Der Zeitraum, welchen dieser Process in den einzelnen
Fällen ausfüllt, ist je nach der Natur dieser letzteren sehr ver-
schieden. Wer über die sämmtlichen zur Hervorbringung eines
Eichenwaldes nöthigen Grundstücke, Arbeitsleistungen, Werk-
zeuge und Samenfrüchte verfügt, wird an hundert Jahre warten
müssen, ehe er über einen schlagbaren Hochwald selbst zu ver-
fügen in der Lage sein wird, und in den meisten Fällen wird
dies wohl erst bei den Erben oder sonstigen Rechtsnachfolgern
desselben der Fall sein, dagegen mag derjenige, der über die
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[22/0040] Zeit — Irrthum. scheinungen in diesem Processe und diesen selbst nie voll- ständig zu erfassen vermögen, wofern wir denselben nicht in der Zeit betrachten und das Mass derselben an ihn legen. Auch bei dem Wandlungsprocesse, durch welchen die Güter höherer Ordnung stufenweise in solche niederer Ordnung verwandelt werden, bis diese schliesslich jenen Zustand bewirken, den wir die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nennen, ist deshalb die Zeit ein wesentliches Moment unserer Beobachtung. Wenn wir über die complementären Güter irgend einer höheren Ordnung verfügen, so müssen diese Güter vorerst in solche der nächst niederen und so stufenweise fort verwandelt werden, bis dieselben zu Gütern erster Ordnung gestaltet sind, welche letzteren wir erst der Befriedigung unserer Bedürfnisse in unmittelbarer Weise zuführen können. Die Zeiträume, welche zwischen den einzelnen Phasen dieses Processes liegen, mögen in manchen Fällen noch so kurz erscheinen und die Fortschritte in der Technik und im Verkehrswesen immerhin die Tendenz haben, dieselben mehr und mehr abzukürzen — ein vollstän- diges Verschwinden derselben ist indess undenkbar. Es ist unmög- lich, Güter irgend einer höheren Ordnung durch einen blossen Wink in die entsprechenden Güter niederer Ordnung zu ver- wandeln; vielmehr ist nichts sicherer, als dass derjenige, der über Güter höherer Ordnung verfügt, erst nach einem gewissen, je nach der Natur des Falles bald kürzerem, bald längerem Zeitraume über die entsprechenden Güter der nächst niederen Ordnung zu verfügen in der Lage sein wird. Was nun aber hier von dem einzelnen Gliede der Causalkette gesagt wird, gilt im erhöhten Masse von dem ganzen Processe. Der Zeitraum, welchen dieser Process in den einzelnen Fällen ausfüllt, ist je nach der Natur dieser letzteren sehr ver- schieden. Wer über die sämmtlichen zur Hervorbringung eines Eichenwaldes nöthigen Grundstücke, Arbeitsleistungen, Werk- zeuge und Samenfrüchte verfügt, wird an hundert Jahre warten müssen, ehe er über einen schlagbaren Hochwald selbst zu ver- fügen in der Lage sein wird, und in den meisten Fällen wird dies wohl erst bei den Erben oder sonstigen Rechtsnachfolgern desselben der Fall sein, dagegen mag derjenige, der über die Ingredienzien von Speisen oder Getränken und die zu ihrer Er-

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Zitationshilfe: Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menger_volkswirtschaftslehre_1871/40>, abgerufen am 29.03.2024.