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Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871.

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Ueber das ursprünglichste Mass des Güterwerthes.
selbe für jenes Individuum die volle Bedeutung hätte, welche
dieses letztere einem geschärften Sehvermögen zuschreiben würde,
aber eben so sicher auch keine höhere, indem eine Brille zur
Befriedigung anderer Bedürfnisse nicht wohl verwendbar ist.

Im gewöhnlichen Leben ist nun aber das Verhältniss zwischen
den verfügbaren Gütern und unseren Bedürfnissen der Regel
nach ein viel complicirteres. Hier steht zumeist: nicht einem
einzelnen concreten Bedürfnisse, sondern einem Complexe von
solchen; nicht ein einzelnes Gut, sondern eine Quantität von
solchen gegenüber, so zwar, dass eine bald grössere, bald ge-
ringere Anzahl in ihrer Bedeutung höchst verschiedener Bedürf-
nissbefriedigungen von unserer Verfügung über eine Quantität
von Gütern abhängt, deren jedes einzelne wieder die Tauglich-
keit hat, die obigen in ihrer Bedeutung sehr verschiedenen
Bedürfnissbefriedigungen herbeizuführen.

Ein isolirt wirthschaftender Landmann verfügt nach einer
reichen Ernte über zweihundert Metzen Korn. Ein Theil hievon
sichert ihm die Erhaltung seines Lebens und jenes seiner Fa-
milie bis zur nächsten Ernte, ein anderer die Erhaltung der
Gesundheit, ein dritter Theil sichert ihm das Saamenkorn für
die nächste Saat, einen vierten vermag er zur Erzeugung von
Bier, Branntwein und zu anderen Luxuszwecken, einen fünften
noch zur Mästung seines Viehes zu verwenden, einige erübrigende
Metzen jedoch, die er für andere wichtigere Bedürfnissbefriedi-
gungen nicht mehr verwenden kann, hat er für die Ernährung
von Luxusthieren bestimmt, um dies Getreide doch irgendwie
nutzbar zu machen.

Es sind demnach Bedürfnissbefriedigungen von höchst ver-
schiedener Wichtigkeit, in Rücksicht auf welche der Landmann
von dem in seinen Händen befindlichen Getreide abhängt. Er
sichert damit zunächst sein und seiner Familie Leben, hierauf
sein und seiner Familie Gesundheit, er sichert damit ferner
den Fortbetrieb seiner Wirthschaft, also eine wichtige Grundlage
seiner dauernden Wohlfahrt, er verwendet endlich einen Theil
seines Getreides zu Genusszwecken und zwar wieder zu solchen,
die von höchst verschiedener Bedeutung für ihn sind.

Es liegt somit unserer Betrachtung ein Fall vor -- es ist
dies aber das gewöhnliche Lebensverhältniss -- in welchem Be-

Ueber das ursprünglichste Mass des Güterwerthes.
selbe für jenes Individuum die volle Bedeutung hätte, welche
dieses letztere einem geschärften Sehvermögen zuschreiben würde,
aber eben so sicher auch keine höhere, indem eine Brille zur
Befriedigung anderer Bedürfnisse nicht wohl verwendbar ist.

Im gewöhnlichen Leben ist nun aber das Verhältniss zwischen
den verfügbaren Gütern und unseren Bedürfnissen der Regel
nach ein viel complicirteres. Hier steht zumeist: nicht einem
einzelnen concreten Bedürfnisse, sondern einem Complexe von
solchen; nicht ein einzelnes Gut, sondern eine Quantität von
solchen gegenüber, so zwar, dass eine bald grössere, bald ge-
ringere Anzahl in ihrer Bedeutung höchst verschiedener Bedürf-
nissbefriedigungen von unserer Verfügung über eine Quantität
von Gütern abhängt, deren jedes einzelne wieder die Tauglich-
keit hat, die obigen in ihrer Bedeutung sehr verschiedenen
Bedürfnissbefriedigungen herbeizuführen.

Ein isolirt wirthschaftender Landmann verfügt nach einer
reichen Ernte über zweihundert Metzen Korn. Ein Theil hievon
sichert ihm die Erhaltung seines Lebens und jenes seiner Fa-
milie bis zur nächsten Ernte, ein anderer die Erhaltung der
Gesundheit, ein dritter Theil sichert ihm das Saamenkorn für
die nächste Saat, einen vierten vermag er zur Erzeugung von
Bier, Branntwein und zu anderen Luxuszwecken, einen fünften
noch zur Mästung seines Viehes zu verwenden, einige erübrigende
Metzen jedoch, die er für andere wichtigere Bedürfnissbefriedi-
gungen nicht mehr verwenden kann, hat er für die Ernährung
von Luxusthieren bestimmt, um dies Getreide doch irgendwie
nutzbar zu machen.

Es sind demnach Bedürfnissbefriedigungen von höchst ver-
schiedener Wichtigkeit, in Rücksicht auf welche der Landmann
von dem in seinen Händen befindlichen Getreide abhängt. Er
sichert damit zunächst sein und seiner Familie Leben, hierauf
sein und seiner Familie Gesundheit, er sichert damit ferner
den Fortbetrieb seiner Wirthschaft, also eine wichtige Grundlage
seiner dauernden Wohlfahrt, er verwendet endlich einen Theil
seines Getreides zu Genusszwecken und zwar wieder zu solchen,
die von höchst verschiedener Bedeutung für ihn sind.

Es liegt somit unserer Betrachtung ein Fall vor — es ist
dies aber das gewöhnliche Lebensverhältniss — in welchem Be-

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[96/0114] Ueber das ursprünglichste Mass des Güterwerthes. selbe für jenes Individuum die volle Bedeutung hätte, welche dieses letztere einem geschärften Sehvermögen zuschreiben würde, aber eben so sicher auch keine höhere, indem eine Brille zur Befriedigung anderer Bedürfnisse nicht wohl verwendbar ist. Im gewöhnlichen Leben ist nun aber das Verhältniss zwischen den verfügbaren Gütern und unseren Bedürfnissen der Regel nach ein viel complicirteres. Hier steht zumeist: nicht einem einzelnen concreten Bedürfnisse, sondern einem Complexe von solchen; nicht ein einzelnes Gut, sondern eine Quantität von solchen gegenüber, so zwar, dass eine bald grössere, bald ge- ringere Anzahl in ihrer Bedeutung höchst verschiedener Bedürf- nissbefriedigungen von unserer Verfügung über eine Quantität von Gütern abhängt, deren jedes einzelne wieder die Tauglich- keit hat, die obigen in ihrer Bedeutung sehr verschiedenen Bedürfnissbefriedigungen herbeizuführen. Ein isolirt wirthschaftender Landmann verfügt nach einer reichen Ernte über zweihundert Metzen Korn. Ein Theil hievon sichert ihm die Erhaltung seines Lebens und jenes seiner Fa- milie bis zur nächsten Ernte, ein anderer die Erhaltung der Gesundheit, ein dritter Theil sichert ihm das Saamenkorn für die nächste Saat, einen vierten vermag er zur Erzeugung von Bier, Branntwein und zu anderen Luxuszwecken, einen fünften noch zur Mästung seines Viehes zu verwenden, einige erübrigende Metzen jedoch, die er für andere wichtigere Bedürfnissbefriedi- gungen nicht mehr verwenden kann, hat er für die Ernährung von Luxusthieren bestimmt, um dies Getreide doch irgendwie nutzbar zu machen. Es sind demnach Bedürfnissbefriedigungen von höchst ver- schiedener Wichtigkeit, in Rücksicht auf welche der Landmann von dem in seinen Händen befindlichen Getreide abhängt. Er sichert damit zunächst sein und seiner Familie Leben, hierauf sein und seiner Familie Gesundheit, er sichert damit ferner den Fortbetrieb seiner Wirthschaft, also eine wichtige Grundlage seiner dauernden Wohlfahrt, er verwendet endlich einen Theil seines Getreides zu Genusszwecken und zwar wieder zu solchen, die von höchst verschiedener Bedeutung für ihn sind. Es liegt somit unserer Betrachtung ein Fall vor — es ist dies aber das gewöhnliche Lebensverhältniss — in welchem Be-

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Zitationshilfe: Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menger_volkswirtschaftslehre_1871/114>, abgerufen am 18.04.2024.